JENE SPRACHE NAMENS SANSKRIT

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Vorgetragen in der IV. Tagung der Geschichtsanalytik in Potsdam am 12.09.2008

 

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„Sanskrit“ gilt als die höchst entwickelte und kompliziertest organisierte Sprache. Selbst die Datierungsakrobatiker aller Länder sind sich einig darüber, daß „Sanskrit“ früher entstanden ist, als überlieferte europäische Sprachen. Keiner weiß, wann diese Sprache eine gesprochene gewesen ist. Die Frage und Antworten darauf überlasse ich gern den Indologen und den Datierungsexperten, die es hingekriegt haben, daß sich die Chronologie der moderne Kulturgeschichte der Menschheit, bemerkenswerterweise in der Christlichen Schöpfungsgesichte hineinpaßt.

Wir haben alle wissen dürfen, daß seit Menschengedenken anspruchsvolle wissenschaftliche und philosophische Literatur  wie die Veden, Upanishaden, Puranas, Sutras, Brahmanas, usw., in „Indien“ gelernt, gelesen und rezitiert werden in einer Sprache namens Sanskrit. Ich meine, daß dies heute noch so gelehrt wird. Nur in dieser alten Literatur, kommt aber ein Landstrich namens Indien nicht vor.  Die Heimat dieser Literatur ist Bharatavarsa.

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Was heute weltweit als Sanskrit in Umlauf ist, ist eine geschriebene Sprache, in Umlauf gebracht durch sogenannte Indologen aus Europa erst im 19. Jahrhundert. Ihre Indologie soll Wissenschaft über „Indien“ sein. Indologen und Indologie nehmen in der Wissenschaftsgeschichte etwas Einmaliges in Anspruch. Sie wollen über die Schrift einer Sprache namens Sanskrit – also über deren Buchstabe, Wort, Satz, Text – die Geschichte und die Kultur jenes weiten Gebiets, vom Süden Himalajas bis hin zu den Ozeane, namens Bharatavarsa, kurz das alte “Indien“ erschließen, seine Bewohner, seine Kultur, seine Geschichte beschreiben. Meine Phantasie reicht nicht aus, mir vorzustellen, wie dies geschehen könnte.

Sprache ist immer ein Zweckmittel des Gedankenaustausches. Eine reiche Sprache ist der Ausdruck eines reichen Erfahrungsschatzes jener, die die Sprache gestaltet haben.

Schrift hat mit dem Reichtum einer Sprache nichts zu tun. Die Schriftlichkeit einer Sprache ist eine spätere Entwicklung als die Sprache selbst. Das Erschließen einer fremden Sprache durch ihre Schrift, ist kaum möglich und erschließt gewiß nicht den Erfahrungsschatz einer Sprache.

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Ich bin kein Soziologe. Als Gesellschaftswissenschaftler glaube ich immer weniger und stelle mehr Fragen als andere. Dabei habe ich nicht selten noch un−erzählte Geschichten großer Tragweiten entdeckt.

Seit der Gründung der Universität Oldenburg waren meine Veranstaltungen im Fachbereich Sozialwissenschaften Projekte des „forschenden Lernens“, d. h. statt entlang vorfabrizierter Theorien das „Lernen“ üben, mit offenen Fragen das Forschen beginnen und beim Forschen lernen.

1996 wollten wir wissen, seit wann es bekannt ist, daß es ‚Indogermanen‘, ‚Indo­euro­päern‘ und ‚Ariern‘ gegeben hat. 2004 habe ich das Projekt mit dem Buch:  LÜGEN MIT LANGEN BEINEN. Entdeckungen, Gelehrte, Wissenschaft, Aufklärung. Dokumentarische Erzählung, 440 S., ISBN 3-935418-02-7, abschließen können.

‚Indogermanen‘, ‚Indo­euro­päer‘ und ‚Arier‘ haben wir nicht gefunden, aber doch deren Erfinder. Die Erfundenen Geschichten gehen trotz offenkundigen Widersprüchen bei den nachwachsenden Wissenschaftlern glatt durch. Die Erfinder haben Ehrenplätze in der Ahnengalerie. Einige davon sind Säulenheilige. Alle diese Gelehrten haben ihre Ehrenplätze mit Lügengeschichten erkauft. Viele haben diese Lügengeschichten gebraucht bzw. mißbraucht. Nicht nur Adolf Hitler.

Aber was diese Gelehrten und deren nachwachsenden Jünger mit der Sprache „Sanskrit“ geleistet haben, hatte mir zunächst die Sprache verschlagen. Ich bin kein „Sanskrit–Gelehrter“. Ich bin überhaupt keine Gelehrter. Ich bin ein schlichter Suchender. Ich habe mühsam lernen müssen, unbeirrt und erbarmungslos Fragen zu stellen und Antworten darauf zu suchen.

Ich setze mich schon lange nicht mehr mit Gelehrtenweisheiten auseinander, bevor ich nicht weiß, wer der Betreffende ist, wie er zu seinem Thema gekommen ist, wie er zu seiner Erkenntnis gekommen ist, wer ihn ausgehalten hat, wer von seinen Arbeitsergebnissen profitiert und wer verloren hat, kurz: bevor ich seine dokumentierte Biographie kenne.

Wie gesagt: ‚Indogermanen‘, ‚Indo­euro­päer‘ und ‚Arier‘ haben wir nicht gefunden, aber wir haben eine Sprache namens „Sanskrit“ gefunden. Die gibt es wirklich. Hier sind in aller Kürze ein Paar Stichpunkte der Geschichte, die ich erzählen könnte, ja erzählen möchte.

Erst fallen die „Großen Entdecker“ in „Indien“ ein, rauben, morden, schleppen alles weg, was nicht niet– und nagelfest ist, besetzen das Land und beuten es langfristig aus. Nach der ersten Konsolidierung heuert die ehrenwerte Gesellschaft wortgewaltige Söldner an, um Grundsteine langfristiger Ausbeutung und Unterdrückung zu legen. Dabei werden sie mit anspruchsvoller Literatur in einer nicht mehr gesprochenen Sprache konfrontiert, die aber dort doch allgegenwärtig ist. Sie tun sich damit schwer. Sanskrit soll sie heißen.

Ab 1786 wird behauptet, daß zwischen Sanskrit, jener Sprache der nordwestindischen „Arier“ einerseits und Griechisch, Latein, germanischen und keltischen Sprachen andererseits, eine enge sprachliche Verwandtschaft besteht. Von da ist es ein kleiner Schritt zur „Familie der indoeuropäischen Sprachen“.

Erbeutete Sanskrittexte, später auch „Sanskrit“, werden nach Europa verschleppt, die Sprache der Texte wird in Sanskrit–Englische Wörterbücher gepreßt und mit Hilfe dieser Wörterbücher werden die Texte übersetzt, und die Wörterbücher samt Übersetzungen alter Texte nach Indien gebracht, damit es in den von den „Kolonisatoren“ errichteten Schulen und Hochschulen unterrichtet werden kann.

Ich verspreche, eine aufschlußreiche, zugleich spannende Geschichte zu erzählen. Wie war der Wanderweg von „Sanskrit“ von „Indien“ nach Europa? Wer, wie und von wem lernten jene diese Sprache, die dann diese in Europa unterrichtet und verbreitet haben?

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Ab Ende des 19. Jahrhunderts wird in den Universitäten Deutschlands flächendeckend Indologie gelehrt. Nichts läuft in der Indologie ohne jene Sprache namens Sanskrit.

Aber wie wanderte diese Sprache namens Sanskrit nach Europa? Wer entdeckte sie? Wo? Wann? Die Suchreise rückwärts macht den ersten Leuchtturm sichtbar. Erst ab 2. Februar 1786 gilt, unwidersprochen, was der Gründerpräsident der Asiatik Society in Kalkutta in einer Festrede als seine Entdeckung verkündet hat.

Die Sprache Sanskrit, wie alt sie auch sein mag, ist von wundervollem Gefüge; vollendeter als Griechisch, reichhaltiger als Latein, und mehr exquisit verfeinert als beide, bringt sie dennoch zu diesen beiden eine stärkere Affinität hervor, sowohl in den Wurzeln der Zeitwörter als auch in den Formen der Grammatik, als es möglicherweise durch Zufall zustande gekommen sein könnte; in der Tat so stark, daß kein Philologe sie alle drei untersuchen könnte, ohne zu glauben, sie seien irgend einer gemeinsamen Quelle entsprungen, die, vielleicht, nicht mehr existiert, es gibt einen ähnlichen Grund, obwohl nicht so zwingend, um anzunehmen, daß sowohl Gothisch wie auch das Keltische, obwohl mit einer ganz anderen Sprache vermischt, den gleichen Ursprung hatten wie das Sanskrit; und man könnte das alte Persisch dieser Familie hinzufügen, wenn dies der Ort wäre, um jegliche Frage betreffend die Altertümer Persiens zu erörtern.

Dieser Präsident der Asiatik Society in Kalkutta hat uns nicht erzählt, wie er zu seiner Entdeckung gekommen ist. Kein moderner Wissenschaftler hat bislang seine Entdeckung in Frage gestellt. Dieser Präsident heißt William Jones, Sir William Jones, 40 Jahre alt, ist seit Herbst 1783 als britischer Richter in Kalkutta postiert.

Der eigentliche Haken an dieser kühnen Entdeckung ist, daß unser William 1786 nachweislich weder die Sprache namens Sanskrit, noch eine der gesprochenen Sprache in Britisch Indien sprechen kann. Wie gut sein Griechisch gewesen ist, kann nicht beurteilt werden.

Binnen Monaten nach seiner Ankunft in Kalkutta hat er seine Asiatik Society gegründet. Nur koloniale Ausbeuter britischer Herkunft haben Zugang. Keine Asiaten. William Jones benutzt diese seine Asiatik Society als Vehikel zum Transport seiner Geschichten Asiens mittels einer Schriftenreihe namens  Asiatik Researches, finanziert durch die East India Company. Dies ist die erste Fabrik für systematische Gehirnwäsche. Auch heute noch sind wir davon nicht verschont.

Wer ist dieser William Jones wirklich? Geboren 1746. Seine verarmte, alleinerziehende, vom Ehrgeiz geplagte Mutter dressiert ihn zum fleißigen, bedingungslosen Karrieremacher. Unter großen materiellen Verzichten bringt sie ihn in Harrow unter, der exklusiven Grammer School. Bereits in  Harrow entwickelt er sich zum skrupellosen Emporkömmling, zum Glücksritter per excellance. Aber er leidet unter der Armut seiner Mutter und seiner Schwester.

Danach studiert er Literatur in Oxford. Dort erwirbt er den Beinamen „Oriental Jones“, gestützt auf seine Behauptung, er sei der arabischen, der persischen und der chinesischen Sprachen mächtig. Er habe aus diesen Sprachen Gedichte ins Englische übersetzt. Wer soll was prüfen? Unter Blinden ist der Einäugige König. Wo, wann, von wem er diese Sprachen lernte, hat er nicht verraten.

Ein unerwartetes Glück widerfährt ihm im Frühjahr 1765. Er hat sein 19. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er bekommt das Angebot, Hauslehrer für den 7jährigen Lord George John Althorp zu werden, den Sohn des Grafen John Spencer. Wie? Empfehlungen um Ecken.

Am 5. September 1768 bittet William Jones Lady Spencer schriftlich, daß sie Lord Spencer bitten möge, sich bei dem 3. Herzog von Grafton, der von 1767–70 das Kabinett des Königs George III leitete, dafür zu verwenden, daß der 3. Herzog von Grafton ihn für die fast ehrenamt­liche Professur (ca. £400 für drei bis vier Vorträge im Jahr) für moderne Sprachen in Oxford empfiehlt. Nicht, weil er selbst unbedingt darauf erpicht ist, sondern weil seine Freunde ihn zu dieser Bewerbung drängten.

Nun, es hat nicht geklappt mit der ehrenamtlichen Professur. Aber er vermarktet seine „Kenntnisse der orientalischen Sprachen“ von Wimbledon aus doch so wirkungsvoll, daß jener 3. Herzog von Grafton ihm alsbald den gut dotierten Posten eines Dolmetschers für orientalische Sprachen anbietet. Ein äußerst lukratives Angebot, einem 22jährigen, der seine angeblichen Kenntnisse der „orientalischen Sprachen“ durch nichts belegen kann. Was für ein Glücksfall. Und unser William leidet doch so darunter, daß er seine Mutter und seine Schwester finanziell nicht unterstützen kann.

Er soll das Angebot schriftlich abgelehnt haben. Die Begründung bleibt unbekannt, weil dieses Schriftstück nicht mehr auffindbar gewesen sein soll. An dieser Stelle bin ich doch versucht, einmal zu spekulieren. Er hätte die Stelle angenommen, wenn er die verlangte Leistung eines Dolmetschers für orientalische Sprachen tatsäch­lich hätte erbringen können. Er wäre bald Botschafter seines Landes in einem der „orientalischen Länder“ geworden. Aber Dolmetschen in Regierungsgeschäften ist stets ein Ernstfall. Bluffen und hochstapeln in Seminaren oder in Salons ist mit geringem Risiko verbunden. Seine Dreistigkeit erfährt Grenzen.

Am 19. September 1770 nimmt er das Studium der Gesetze im Middle Temple auf. 1774 wird William Jones als Anwalt zugelassen. Mit der Zeit kennt er wichtige Persönlichkeiten der Londoner Gesellschaft, gehört dazu, doch kommt er zu keinem lukrativen Posten.

Zu dieser Zeit hat die East India Company große Gebiete in Bharatvarsa besetzt. Bereits 1773 werden diese in das Eigentum der „Krone“ überführt und fortan von einem „Governor–General“ und von einem vierköpfigen „Council“ gemeinsam verwaltet. Dazwischen wird ein Gericht, „Supreme Court of Judicature“, geschaltet. Und dieses Gericht hat vier gut dotierte Richter. Alle ernannt für fünf Jahre durch das britische Parlament und vom Vorstand der East India Company.

Im November 1777 stirbt Stephen Caesar LeMaistre, einer der Richter des „Supreme Court“ in Kalkutta. Die Nachricht erreicht England im Frühjahr 1778. William Jones will diese Stelle haben, weil er ja der „Orientalist“ im Lande ist und ein Jurist auch noch. Zwar ist dieser „Orientalist“ der Überzeugung, Persisch sei gleich „Indisch“, aber was macht das schon! Außerdem hat er Zugang zu Lady Spencer.

Er hat häufig die Regierung in den kolonialen Angelegenheiten beraten. Doch scheitert er in seinen Bemühungen, den Job des in der Hackordnung 4. Richters in Kalkutta zu ergattern. Enttäuscht will er nach Amerika auswandern. Er trifft alle Vorbereitungen. Er übernimmt auch als Rechtsanwalt den Fall eines Freundes in einer Erbschaftsangelegenheit in West Virginia. Er verschickt Abschiedsbriefe und bucht Schiffspassage. Als er schon fast unterwegs ist, aber noch bevor er sich von Dover nach Calais begibt, erhält er am 3. März 1783 die Nachricht, daß er die Stelle des Richters bekommt, obwohl unser William inzwischen in alle möglichen Fettnäpfchen getreten hatte.    

Er läßt Amerika Amerika und Freund Freund sein. Die Erbschaft seines Freundes in West Virginia von ca. 50.000 $ und sein verabredetes fettes Honorar interessiert ihn nicht mehr. Er greift spontan zu Feder und verkauft seine Seele seinem vermeintlichen Gönner. Nur der vermeintliche Gönner ist nur ein vermeintlicher. Also verkauft er seine Seele ein zweites Mal, nachdem er erfährt, wer der wirkliche Gönner gewesen ist.

Der König von England läßt in dieser Phase keinen „William Jones“ in die Kolonien reisen ohne einen Titel. Wer leitend für die Company in Bengalen tätig werden soll, muß auch einen „honorigen“ Titel tragen: mindestens „Sir“. Hektische Tage. Nach der Ernennung wird William Jones am 20. März zum Ritter geschlagen. Am 8. April heiratet Sir William seine langjährig angebetete Anna Maria Shipley, eine etwa gleichaltrige reiche Frau. Er ist jetzt sieben­unddreißig. Zeit der Verabschiedung. Bengalen ist weit weg. Die Fregatte „Crocodile“ segelt schon am 11. April los.

Es ist nicht überliefert, ob er auf seiner monatelangen Reise Literatur über „Indien“ im Gepäck gehabt hat. Zu der Zeit hat es viele verläßliche Bücher über „Indien“ gegeben, nicht von christlich–europäischen Autoren, aber doch von persischen, arabischen und hellenischen Autoren. Unser William soll ja dieser drei Sprachen mächtig gewesen sein. Überliefert ist sicherlich nicht zufällig, daß er das Buch der Bücher mit im Gepäck gehabt hat.

Auf der „Crocodile“ ist er für fünf lange Monate gefangen. Also hat er Zeit. Zeit genug in seinem Innersten den eifrigsten Missionar zu entdecken. Er besinnt sich wieder auf den „Oriental Jones“. Als solcher hatte er Bengalen − sprachlich wie kulturell − für einen Hinterhof Persiens verkauft. Seine Pappenheimer sind halt ignorant. Daß er aber schon vor seiner Ankunft viele große geistigen „Entdeckungen“ schriftlich ankündigt, haut mich wirklich um. Keiner hat sich darüber gewundert. Bis heute. Oder weiß ein „Genie“ doch alles schon im Voraus, was er wo und wann tatsächlich entdecken wird? Und wie kann einer wissen, was er entdecken wird, wenn das zu entdeckende Objekt doch längst bekannt ist? Machen wir einen Denkfehler? Oder müssen wir über das „Entdeckungszeitalter“ neu nachdenken?

Er ist schlau genug zu erahnen, daß er aus dem fernen Bengalen erzählen kann, was er will. Hauptsache, daß die Erzählung plausibel klingt, absetzbar ist und der Krone nicht schadet. Er entwirft ein Mammutpro­gramm: Sechzehn Themen zur Geschichte der Menschheit. Er will nicht die asiatische Welt in Europa bekannt machen durch Über­setzung der asiatischen Literatur. Nein. Er will die Geisteswelt Asiens selbst beschreiben.

Tatsächlich hat er nicht nur den Grundstein für diese Fabrikation gelegt. Die Produkte seiner Fabriken und die der Nachfahren des Sir William gelten heute noch.

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Das heutige Sanskrit ist eines dieser Produkte aus Kalkutta. Die Indologie ursächlich auch. Erst im späten 19. Jahrhundert wird sich auch für die Indologen herausstellen, daß die ältesten und die anspruchsvollsten Literatur Bharatavarsas, die Veden, nicht in der Sprache Namens Sanskrit verfaßt sind, sondern in vedischer Sprache, die wesentlich älter ist als „Sanskrit“. Genau so wie „Sanskrit“ älter ist als Prakrit. Gemeinsam sind ihnen nur die Schriftzeichen. Wer die Schriftzeichen kann, wird vedische Texte wie Prakrit oder „Sanskrit“ entziffern können, aber nicht artikulieren und verstehen. Die europäische Überlieferung der vedischen Literatur, die heute noch im „Markt“ sind, ist so übersetzt, als sei das Original in der Sprache Namens Sanskrit gewesen. Dieser Tatbestand allein besagt, daß die indologischen Druckerzeugnisse an sich und für sich genaugenommen nicht das Papier wert sind.

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Um Verwirrungen klein zu halten, eine Information im Voraus, als Merkposten. Sie stammt nicht aus der Schatzkiste der Indologen, oder der modernen Wissenschaften. In aller Kürze.

Nach der vor indologischer Überlieferung existierten lange drei dominierende Sprachen in Bharatavarsa. In der schriftlosen Zeit. „Bhoota Bhasha“, „Chhando Bhasha“ und „Laukika Bhasha“. Bhasha heißt Sprache. In der überlieferten vedischen Literatur wird „Bhoota Bhasha“ nicht verwendet. „Chhando Bhasha“ ist die Sprache der Veden. Viele der Kommentare über die Veden sind in „Laukika Bhasha“ überliefert. „Laukika Bhasha“ ist das eigentliche Sanskrit.

Viel Zeit sind vergangen und viele Wege sind zurückgelegt, bevor die Schrift als Mittel für den Außenspeicher für diese Sprachen erfunden wurde: Laute zu Buchstaben pressen. „Bhoota Bhasha“ hat 42 Buchstaben, „Chhando Bhasha”, die Sprache der Veden, 97 und „Laukika Bhasha”, Sanskrit, 63 bzw. 64 Buch­staben. Es ist nicht genau überliefert, ob auch „Bhoota Bhasha“ Schriftzeichen erfunden hat. Bekannt ist, daß „Chhando Bhasha” zunächst das Schriftzeichen „Brahmi“ erfunden hat und dann Devanagri. Devanagri ist auch die Schriftart von „Laukika Bhasha”. Nach der Erfindung von Devanagri wird eine vierte Sprache überliefert: „Devanagri Bhasha“ mit 51 Buchstaben.

Diesen Teil des Merkpostens möchte ich mit zwei Fragen zum gründlichen Nachdenken abschließen:

−     Wie viele Buchstaben haben die Muttersprachen der Indologen?

−     Und was bedeutet die unterschiedliche Anzahl von Buchstaben?

Die drei letztgenannten Sprachen mit den Devanagri Schriftzeichen haben einen besonderen Aspekt gemeinsam. Auch die kürzesten Laute, die Silben, werden nach strengen Regeln gebildet. Und sie sind unterschiedlich wichtig. Die Hauptsilben, die Wurzeln so zu sagen, entfalten sich zu Wörtern in denen andere Silben vor– oder nachgesetzt werden, oder beides. Dabei verändert sich auch der Sinn der „Wurzeln–Silben“ je nach Wortbildungen.

Ohne Kenntnis des Sinns der ein­zelnen Silben, deren vielfältigen Kombi­nationen und der grammati­ka­lischen Regeln können die Wörter nicht verstanden werden. Auch gleiche Wörter haben unterschiedlichen Sinn, je nachdem wie sie im Satz angeordnet sind und was der ganze Satz bedeutet. Der Sinn des ganzen Satzes ist wiederum von dem Sinn des ganzen Absatzes, der Sinn des ganzen Absatzes von dem Sinn des gesamten Abschnitts abhängig. Deshalb hat es in diesen Sprachen keine Wörterbücher gegeben.

Statt Wörterbücher gibt es umfassende Grammatik­bücher. Wie sich Samen (Wurzelsilbe) zum Baum mit Verzwei­gungen (eine Abhandlung des ganzen Abschnitts) entwickelt, läßt sich beim Vorbeihuschen nicht erlernen. Auch die Grammatikbücher entstehen nicht aus dem Nichts. Das Entstehen umfassender Gram­matik­bücher setzt schon umfangreiche literarische, metaphysische und wissen­schaft­liche Bücher voraus. Und nicht umgekehrt.

Die späteren grammatikalischen Regeln helfen den Sinn in den Büchern zu verstehen. „Sprachwissenschaften“ hin, „Vergleich­ende Sprachwissenschaften“ her. Ohne Antennen für vedische Metaphysik und vedische Wissenschaften lassen sich diese Sprachen nicht erlernen. Und möglicherweise sind sie für den alltäglichen Umgang zu keiner Zeit gelernt worden. Nirgendwo. Dies mag die Ursache dafür sein, daß aus dem wirklichen Sanskrit Prakrit, Pali (Sprache der buddhistischen Literatur) bis hin zu den 14 Hauptsprachen, in der Verfassung der Republik Indien benannt, entstanden sind.

Nur am Rande sei vermerkt, daß von Pali abwärts mehrere Arten von Schriftzeichen erfunden sind. Diese neueren Sprachen haben 43 Buchstaben.

Die Grammatik, also das Regelwerk, ist in keiner Sprache Selbstzweck. Das Regelwerk für eine Sprache ist nicht von der Erfindung einer Schrift abhängig. Es entsteht früher. Wir machen uns selten klar, daß das Schriftzeichen und die Schrift lediglich später entwickelte Trans­portmittel der Sprache sind. Und Transportmittel sind überflüssig, wenn es nichts zu transportieren gibt.

Die Wissenschaftler aus der blond–blauäugig–weiß–christlichen Kultur – bitte stolpern Sie nicht über diesen Begriff, eine kurze Begründung folgt − haben sich keine Gedanken darüber gemacht, warum es auch für das wirkliche Sanskrit keine Wörterbücher gegeben hat. Sie haben sich darauf gestürzt, Wörterbücher herzustellen. Sie haben nie begriffen oder eher nie begreifen können oder wollen, daß es keine Abkürzungen zu diesen alten Sprachen mit dem Devanagri Schrifteichen geben kann. Was die Folge davon ist, werden wir bald hören.

Blond–blauäugig–weiß–christlichen Kultur ist kein Begriff, sondern die Benennung jener vier Säulen der heute herrschenden Kultur. Vor der systematischen Besatzung, Raub, Mord und Vernichtung kultureller Werte der nicht−christlicher Kulturen hat es meines Wissens keine Unterscheidung der Gattung Mensch auf der Grundlage äußerer Merkmale gegeben. Die systematischen Besatzung, Raub, Mord und Vernichtung kultureller Werte der nicht−christlicher Kulturen setzt sich mindestens mit gleicher Wucht hinter unterschiedliche Masken immer noch fort. Kreuzzüge, Reconquista, Piraterie, Kolonisation, die beiden als solche anerkannten Weltkriege, abwerfen von Bomben (einschließlich der atomaren), Demokratiezüge, humanitäre Einmischungen sind Namen der Masken.

Die Wurzel dieser Kultur geht zurück auf die allererste „Offenbarung“. Juden, Christen und Muslime sind von derselben Brut. Nur Juden und Muslime waren noch nicht so leistungsstark wie die Christen. Glauben und Verlogenheit sind ihre bestimmenden Prinzipien. Der „Gott“ hat Moses offenbart und die zehn Gebote auf Stein gemeißelt. Wieso Gebote, sie sind doch Verbote? Oder? Wenn Gott (was oder wer ist Gott) einem die Wahrheit offenbart, muß man nicht daran glauben oder daran glauben müssen? Wie war eigentlich die Zeit lange vor Moses? Die Gattung Mensch hat eine längere Geschichte als jene kurze nach Moses. Oder?

Auch ich bin ein Teil dieser Kultur. Wir sollten nicht verdrängen, daß Goebbels und Hitler die Prototypen von blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur gewesen sind. Wir sollten auch den Christus in den Kirchen genau anschauen, einschließlich in den Augen. Und was sehen wir? In LÜGEN MIT LANGEN BEINEN sind die vier Säulen dieser Kultur erschöpfend dokumentarisch behandelt worden.

Ich schließe den Merkposten mit einem Hinweis ab: In der alten Literatur in Bharatavarsa finden „Einwanderung“, „Rasse“, „Kaste“, „Indien“, „Hindu“, „Glaube“, „Religion“, „Tempel“, usw. nicht statt. Es sind später erfundene Begriffe durch Fremde, vorwiegend durch Kolonisatoren.

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Alle uns bekannten Gattungen verständigen sich mit Laute und Gestik. Jede Gattung verfügt über bzw. besitzt eine spezifische endliche Bandbreite der Laute und Gestik. So verständigen sich Katzen und Hunde aller Länder ohne wissen­schaftliche Stützen. Auch Menschen aller Länder haben sich schon immer verständigt und tun dies heute noch. Ohne die Stützen der Sprach– und verwandte „Wissenschaften“.

Seit wann gibt es sie überhaupt, diese vielen Wissenschaften zur Kommunikation? Sind sie vorkoloniale oder nachkoloniale?

Nur die Gattung Mensch ist für den Austausch untereinander weiter gegangen als nur wenig−modulierte Laute und einfache Gestik anderer Gattungen. Ob andere Gattungen wie die Ameisen gleiches geleistet haben, ist mir nicht bekannt.

Der ursprüngliche Austausch unserer Vorfahren muß über Laute und Gestik von Angesicht zu Angesicht stattgefunden haben. Überall.

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Ich stelle mir vor, daß unsere Vorfahren ihr Umfeld und die Welt immer abgestufter, immer genauer wahrgenommen haben. Und beim Austausch von Wahrnehmungen und Erfahrungen haben sie die Bandbreite von Lauten zur Sprache und die Gestik zur darstellenden Kunst entwickelt. Ich stelle mir ebenfalls vor, daß diese Systematisierung ein langandauernder, mühsamer Weg gewesen ist und ohne die Austauschform von Angesicht zu Angesicht dies nicht möglich gewesen wäre. Unterschiedliche Beobachtungen, Wahrnehmungen, Deutungen und Meinungen wurden ausgetauscht, besprochen, überprüft, angeglichen und vereinbart. Immer Einvernehmlich. Fortwährend. Gespeichert wurde der vereinbarte Inhalt im Kopf.

Jeder Austausch von Angesicht zu Angesicht, seien es Erfahrungen, seien es Beobachtungen, seien es Meinungen, seien es Phantasien, seien es Berichte über Geschehnisse, seien es Lügengeschichten, beeinflußt uns, verändert uns und wir wachsen, in welche Richtung auch immer. Wir hören und sehen uns beim Austausch unmittelbar. Ohne Vermittlung durch technische Hilfsmittel, bzw. Geräte. Wir beobachten die Regungen im Gesicht und registrieren die Betonungen der Sprache. Wir sind gegenseitig unmittelbar Fragen und Kommentaren zugänglich. Keine andere Austauschform kann wirkungsvoller sicherstellen, daß der auszutauschende Inhalt unmißverständlich und wahrheitsgetreu übermittelt werden kann. Die unterschiedlichen Laute und visuellen Zeichen charakterisieren unterschiedliche Erfahrungszusammenhänge. Einvernehmlich geregelt.

Auch zu unserer Zeit im Alltag wird hauptsächlich diese Austauschform praktiziert. Ohne dauerhafte Mißverständnisse. Deshalb können wir uns auch ohne wissenschaftliche „Stützen“ verständigen. Wäre die Qualität dieser Austauschform nicht überragend und überzeugend, würde es zur Ansammlung von Wissen gar nicht gekommen sein.

Zur Entwicklung von Wissen in vielen Bereichen − zu Wissenschaften, zur Grammatik − ist noch ein langer Weg. Und diese lange Reise braucht keine Schrift als Mittel für einen Außenspeicher. Anders ausgedrückt: Die Entwicklung von Alphabet, Silbe, Wort, Sprache, Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Grammatik setzt keine Schrift voraus. Schrift ist ein Außenspeicher und ein Transportmittel.

Wann entsteht der Bedarf einer Schrift als Speicher– und Transportmittel? Es durfte allseitig unbestritten sein, daß der Kopf als Speicher für alle Arten von thematisch abgeschlossen Abhandlungen lange gereicht hat. Mit der zunehmenden Menge tauchen irgendwann Fehler beim Abrufen des im Kopf gespeicherten Wissens auf. Ein unregelmäßig regelmäßiges Auftreten von Fehlern muß unsere Vorfahren veranlaßt haben, viele Wege zur Sicherung des fehlerfreien Austausches zu gehen:

−     kollektive Übungen des fehlerfreien Abrufens,

−     Konstruktion von Eselsbrücken,

−     Dichtung von lebensnahen Erzählungen über unterschiedlichste Geschehnisse,

−     Verse über Ereignisse und Erkenntnisse mit unterschiedlicher Metrik, Klänge, bis hin zu Markierungen außerhalb des Kopfspeichers auf witterungsbeständigen Materialien und die Markierungen sind über Zeichnungen, graphische Darstellungen, Symbole zu Schriftzeichen und zur Schrift geworden.

 

Die Vielfalt der überlieferten Außen­speicher als Stütze des Kopfspeichers und die Entwicklung der „Phonetik“ in der Schrift sind unmißverständliche Hinweise dafür, daß unsere Vorfahren Außenspeicher immer als Ersatz für den audiovisuell gestützten Kopfspeicher, als eine „zweite Wahl der Verläßlichkeit“ so zu sagen, angesehen haben und immer schon über den Verlust des Klangs und der Gestik bei der Nutzung von Außenspeichern besorgt gewesen sind. Mit der Erfindung der Schrift als Mittel des Austausches gehen uns nicht nur die Höhen und Tiefen des Klangs und die Regungen im Gesicht als Ausdruck beim Erzählen verloren, sondern nimmt auch der Austausch von Angesicht zu Angesicht ab. So laufen wir immer mehr Gefahr, uns mit der „zweiten Wahl der Verläßlichkeit“ oder mit Schlimmeren zu begnügen.

Es ist unbestritten, daß die Erfindung und Entwicklung von Schrift, die Entdeckung der mobilen witterungsbeständigen Materialien bis hin zur leichten Vervielfältigung der schriftlosen Bücher eine gewaltige Kulturtechnologischeleistung gewesen sind. Die Schrift hat es möglich gemacht, daß das angesammelte Wissen – wenn auch in einer mit Fehlern behafteten abgemagerten Form – außerhalb des menschlichen Kopfs relativ leicht zugänglich gespeichert werden kann. Dadurch wird die Begrenzung des Raums und der Zeit für den Austausch überbrückt. Die Schrift als Mittel für den Außenspeicher, als eine mittelbare Ergänzung zum unmittelbaren Austausch, kann unser Wissen bereichern. Ohne jeden Zweifel. Aber nur als eine mittelbare Ergänzung. Ohne den Kopfspeicher und ohne den Austausch von Angesicht zu Angesicht sind die Außenspeicher weniger wert.

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Nun zurück zu der Sprache namens Sanskrit und zu ihrem Wanderweg nach Europa.

Alexander von Makedonien (3. Jahrhundert v. Chr.) hat als erster europäischer „Haudegen“ den Boden Bharatavarsa betreten. Die Hellenen haben mit Bharatavarsa schon Handel getrieben, noch vor der allerersten „Offenbarung“ in der Menschheitsgeschichte. Alexander hätte sich der Mühe nicht unterzogen, wenn ihm seinerzeit nichts über die reiche Zivilisation und Kultur jenseits des Flusses namens Sindhu (griechisch Indos) schon bekannt gewesen wäre. Kein „Haudegen“ plant Raubzüge ins Blaue oder in Regionen hinein, wo nichts zu holen ist. Bekanntlich kommt Alexander nicht weit in Indien hinein. Er erleidet empfindliche Rückschläge. Er muß den Rückzug antreten. Er stirbt auch schon 32jährig. Die Hellenen haben der Nachwelt eine ganze Menge Wissenswertes über Bharatavarsa überliefert, aber nichts über eine Sprache namens Sanskrit.

Der heilige Thomas betritt diesen Boden im 6. Jahrhundert, nicht als Haudegen, sondern als Asylsuchender. Mit Anhang. Die Thomas−Christen gibt es immer noch im Süden, wo sie gelandet waren. Voll integriert.

Der Portugiese Vasco da Gama  ist der nächste europäische „Haudegen“, der 1498 den Boden Bharatavarsa auf dem Seeweg betritt. Er landet nicht in Goa, wie landläufig geglaubt wird, sondern in Cochin. Ob der Strömungen und der Winde. Er hat keine Handels- oder Tauschware mit, kein Geld zum Einkaufen, dafür aber kräftige Männer, viel Waffen und römisch katholische Seelsorger. Fast zwei Drittel der angeheuerten Haudegen haben auf der langen Segelhinfahrt daran glauben müssen, reich nach Hause zu kommen.

Cochin und die Küste nach Süden ist dicht besiedelt. Nicht so geeignet für Raubzüge. Also segelt Vasco da Gama der Küste entlang nach Norden. Am einsamen südlichen Zipfel der Mormugao Bucht, in die der Zuari Fluß mündet, setzt er sich fest. Zwischen diesem Ankerplatz und Cochin liegen gut 800 km und zwischen diesem Ankerplatz Alt−Goa befindet sich viel Wasser und etwa 45 km Landweg.

Vom Ankerplatz unternimmt er kleinere Beutezüge. Lebensmittel müssen her. Er baut auf den Überraschungseffekt. Nirgendwo hat er Schwierigkeiten. Die unerwartete Brutalität überrascht. Sie verbreitet auch Angst. Die Eindringlinge errichten Barrikaden. So beginnt die Besatzung, die heute verniedlichend Ausbau von Stützpunkten genannt wird. Auch ein Beispiel der christlichen Morallehre. Er hat keine Eile. Die Winde und die Strömungen lassen das Hin– und Zurücksegeln eh nur im jährlichen Rhythmus zu. Für das Auskund­schaften bleibt genug Zeit.

Vasco de Gama segelt mit einem schiffsvoll ausgeraubter Waren nach Portugal zurück. Die übrigen Haudegen mit den Waffen und ihre Seelsorger bleiben, rauben auf kleiner Flamme, kundschaften und warten auf Verstärkung. Fortan segeln die Portugiesen im Verband mit mehreren Schiffen, mit möglichst vielen Haudegen, Waffen und Seelsorger hin, dann zurück mit voller Beute. Nach elfjähriger systematischer Vorbereitung nimmt der Haudegen Alfonso  de Albuquerque dem Muslimherrscher Adil Adil Shah seine Hauptstadt, die heute Alt Goa heißt, ab. Adil Adil Shah war der Sohn jenes muslimischen Haudegens, Mahmud Gawan, der 1470 die einheimischen Herrscher vertrieben hatte.

Der gefeierte angeblich große Entdecker Vasco da Gama, „entdeckte“ davor Goa mindestens dreimal, der Haudegen Alfonso de Albuquerque mindestens zweimal. Die Vernichtung der Muslimherrschaft war so total, daß heute nicht einmal im archäologischen Museum von Alt Goa irgendeine Reminiszenz der früheren Zeit zu finden ist, vom Stadtbild ganz zu schweigen. Kirchen, Kathedralen und Basilika, alles reichlich mit Gold gestaltet, prägen das Stadtbild. Bekanntlich fungierten die Portugiesen die längste Zeit als eine Kolonialmacht, nämlich genau 450 Jahre.

Die Historiker und die Indologen der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur haben das Märchen vermarktet, daß Vasco da Gama der große Entdecker des Seeweges nach Indien gewesen sein soll. Diese Behauptung ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Es gab schon regen interkontinentalen Handel auf Seewege, bevor Portugiesen und andere Europäer gewußt haben, daß die Erde keineswegs eine Scheibe, sondern ein Planet ist.

Mit dieser Mär des großen Entdeckers wird verschleiert, daß dieser Söldner das Zeitalter des Raubs, des Völkermords, der Besatzung, des Entrechten und der fortwährenden Ausbeutung auch in Bharatavarsa einläutet. Dieser Vorgang heißt dann verniedlichend „Kolonialismus“, der den Kapitalismus erst möglich macht. Immer mit Etikettenschwindel, dank den europäischen „Gelehrten“. Zu den Zeiten von Vasco da Gama wurde in die Jagdgebiete das Christliche Kreuz gebracht und heute die angebliche freiheitliche Demokratie, beides Feigenblätter für Raub, Mord, Besatzung, Entrechtung und dauerhafte Ausbeutung fremder Gebiete.

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Im Jahre 1518 lassen sich Franziskaner in Goa nieder. Kaum ist der Orden der Jesuiten 1540 gegründet, kommt 1542 schon der jesuitische Missionar Francisco Xavier (1506–1552) nach Goa, 1548 kommen die Dominikaner und 1572 die Augustiner. Andere christliche Orden kommen nach.

 Die portugiesische Haudegen und Missionare sind besessen von Raub und Konvertierung. Wenig ist dokumentiert über sprachlichen Austausch. Einige holprige Glossar− und Grammatikbücher lokaler Sprachen für den Eigengebrauch sind überliefert. Für viel mehr hat es nicht gereicht, auch nicht für jenen adeligsten der römischen Adeligen, den Jesuitenpater Roberto de Nobili, der an Dreistigkeit, List und Skrupellosigkeit dem William Jones nicht nachstand. Auch er hat die hohe Kultur in Bharatavarsa gemerkt und sich auf seine Weise bemüht diese zu kolonisieren. Bis zu der Sprache der reichen alten Literatur Bharatavarsas gelangt er jedoch nicht.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, was der Florentiner Filippo Sassetti, der sich als angestellter kaufmännischer Diener vieler am Ausbeutungsgewinn interessierter europäischer Herren zwischen Goa und Cochin verdingte, am 27. Januar 1585 zu Papier gebracht hat. Er ist insofern eine Ausnahmegestalt in der Galerie der christlichen Ausbeuter, weil er weder ein „Haudegen“, noch ein Missionar gewesen ist. Eigentlich ist er ein angesehener Gelehrter und Philosoph in Florenz, den Medici nahestehend. Aus familiären Gründen muß er Geld verdienen.

Mir scheint es, daß wir sagen können, es sei eine Krankheit dieses Jahrhunderts, daß in allen Teilen der Welt die Wissenschaften in einer Sprache sind, die sich von jener unterscheidet, die gesprochen wird; von welcher Krankheit auch alle diese Leute betroffen sind, denn ihre Sprache unterscheidet sich so sehr von jener, in der ihre Wissenschaft ist, daß sie eine Zeit von 6 Jahren brauchen, um sie zu erlernen; denn sie tun es nicht wie die Juden, die ihre Kinder die Sprache der Gesetze lehren, wie bei uns den Papageien das Sprechen beigebracht wird; aber diese hier haben die Grammatik, und bedienen sich ihrer. Die Sprache an sich ist angenehm und wohlklingend, wegen der vielen Laute, die sie haben, bis 53, von denen alle begründet sind, denn sie lassen sie alle aus den ver­schie­denen Bewegungen des Mundes und der Zunge entstehen. Sie über­setz­en leicht alle unsere Begriffe in ihre Sprache, und schätzen, daß wir nicht dasselbe mit ihren in die unsere tun können, weil die Hälfte der Laute, oder mehr, fehlt. Es ist wahr, daß man viel Schwierigkeit hat, ihre Wörter mit ihren Lauten und Akzenten (die das sind, was sie sagen wollen) auszusprechen; und ich schätze, daß die Ursache zum großen Teil das unterschiedliche Temperament der Zunge ist, da sie zu jeder Zeit jene so hervorragenden Kräuterblätter essen, die sie Betel nennen, die in hohem Maße adstringierend und trocknend sind, mit jener Frucht, die sie ‚Areca‘ nennen und die in alten Zeiten avellana indica genannt wurde, das Ganze mit Kreide vermischt, mit der Folge, daß, im Gegenteil zu uns, ihre Zunge und Mund trocken und schnell sind.

Filippo Sassetti wird aber für die große Welt erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts „entdeckt“ und als der Vorläufer der „vergleichenden Sprachwissenschaften“ gefeiert. Ihm wird fälschlicherweise zugeschrieben, er hätte in seinen „Briefen aus Indien“ über seine Entdeckung der Ähnlichkeit zwischen Sanskrit einerseits und Griechisch und Latein anderseits berichtet. Er hat nie dergleichen geschrieben. Er landet in Goa im Herbst 1583 und stirbt im Herbst 1588. Er hat insgesamt 32 Briefe aus Indien geschrieben.  

Ein Ordensbruder von Roberto de Nobili entdeckt als erster Sanskrit als Sanskrit. Heinrich Roth. Er wird 1620 als Sohn eines Augsburger Rechtsanwaltes in Dillingen geboren. Nach seiner Schulzeit wird er Legionär in der Schwedischen Armee, flieht später aus der Armee nach Innsbruck, wird dort von einem Soldaten fast zu Tode geschlagen, bei Genesung will er Missionar werden. Am 25. Oktober 1639 tritt er − fast 19jährig − in den Jesuiten−Orden ein und erhält zehn Jahre später die Priesterweihe. Ein Jahr später, 1650, wird er in Begleitung eines weiteren Missionars für die Missionsarbeit nach Äthiopien beordert. Sie segeln von Livorno in Italien aus nach Smyrna in der Türkei, von dort erreichen sie auf dem Landweg Isfahan, die Hauptstadt von Persien. Erst dort erfahren sie, daß Äthiopien für katholische Missionare die Grenzen dicht gemacht hat. Was tun? Sie entschließen sich, nach Goa weiter zu reisen.

Tatsächlich erreichen sie den Jesuiten−Stützpunkt in Goa 1652, also 48 Jahre später als Roberto de Nobili. Biographien wie die von Heinrich Roth sind nicht nur für Jesuiten typisch. Sie offenbaren den schmalen Grat zwischen Söldner und Missionar, Abenteurer und Kundschafter, Glücksritter und Besessener.

In Goa soll Heinrich Roth bald die Sprachen Kannada, Persisch, Urdu und einige andere erlernt haben. Wie, wissen wir nicht. Wir können vieles nicht nachvollziehen, was uns als Geschehenes in gedruckter Form überliefert wird. Heinrich Roth wird von Goa nach Agra versetzt. Agra ist die Hauptstadt der Mogulherrscher in Norden. Er übernimmt die Leitung des dortigen Jesuiten−Kollegs. Dort lernt er sechs Jahre lang Sanskrit. Er begreift die Bedeutung von Sanskrit für die Mission und verfaßt ein Grammatikbuch um 1660 herum mit lateinischen Erläuterungen. So wird uns erzählt.

Veröffentlicht wird sie aber mit zwei anderen Manuskripten als Faksimile 1988 in Leiden. Die Indologen von heute bestätigen, daß die Grammatik von Heinrich Roth im Vergleich zu allen anderen die beste gewesen ist. Es ist ja auch kein Wunder. Denn Roth hat aus der allzeit perfekten Grammatiksystematik von Panini abgeschrieben.

Der Transport von Sanskrit nach Europa hat also auf der Grund­­lage unzureichender Grammatik stattgefunden. Wir haben nach indologischen Würdigungen dieses Tatbestandes gesucht. Vergeblich. Es ist für die Indologen ein Nichtthema.

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Fest steht, daß auf der katholischen Schiene keiner einen Wanderweg für die Sprache namens Sanskrit angelegt hat. Also wieder zurück zur East India Company, zurück zu Kalkutta. Die Briten setzen in den besetzten Gebieten mehr auf Menschenkauf als auf Christianisierung. Auf allen Ebenen kaufen sie Leute ein, geleitet von dem Prinzip: Teilen und Herrschen. Die oberen Chargen der Kolonisatoren kaufen noch zusätzlich Brahmanen als persönliche Berater ein, die sogenannte „Pandits“. Pandit heißt übersetzt Gelehrter.

Ob die angeheuerten „Pandits“ der East India Company Gelehrte gewesen sind, lasse ich hier unkommentiert. Ich frage mich und auch Sie, wie soll der sprachliche Austausch über anspruchsvolle Themen zwischen dieser „Pandits“ und den kolonialen Haudegen von statten gegangen sein? Übrigens ist kein einziger Fall dokumentiert, daß ein Gelehrter sich je als „Pandit“ hat in die Gehaltliste der East India Company aufnehmen lassen.

Als Sir William im Herbst 1783 in Kalkutta landet, weiß er von der Existenz einer Sprache namens Sanskrit nichts. Umtriebig orientiert er sich in Kalkutta und verschafft Achtung in der „ehrenwerten Kolo­nialgesellschaft“ als eben jener „Oriental Jones“. Er findet zwei company−eigene Druckzentren vor, geleitet von einem Charles Wilkins, dem gute Kenntnisse der lokalen Sprachen und breite Kontakte außerhalb der Company nachgesagt werden. Seit 1770 ist er in Kalkutta. Nach einer Krankheit erholt er sich gerade in Varanasi (nach kolonialer Duftmarke heißt die Stadt Benaras), wo er die Zeit genutzt haben wollte, an der dortigen Universität Sanskrit zu lernen. Der windige „Oriental Jones“ plant seine Mission, gestützt auf die Einrichtung von „Pandits“, die Druckzentren und auf den 34jährigen Charles Wilkins.

Am 15. Januar 1784 trommelt er die „ehrenwerten kolonialen Paten“ in Kalkutta zusammen, 13 an der Zahl, gründet eine Gelehrtengesellschaft (ohne Gelehrte) namens „Asiatick Society of Bengal“ und bietet dem Chef, dem Generalgouverneur Warren Hastings, der in England nicht einmal einen Schulabschluß geschafft hatte, den Vorsitz dieser „Gelehrtengesellschaft“ an.

Warren Hastings lehnt das Angebot dankend ab. Aus guten Gründen. Als Vorsitzender kann er „The Asiatick Society of Bengal“ als eine Kulturleistung seiner Verwaltung nicht so gut vermarkten wie als der Förderer im Hintergrund. Also übernimmt Sir William den Vorsitz. Sehr gern. Von nun an unterstützt er die knallharte „konservative“ Kolonialpolitik Warren Hastings lautstark. Ganz nebenbei etabliert er sich informell als die zweitwichtigste Persönlichkeit im Kolonialregime in Kalkutta. Es stört ihn wenig, daß zu Hause die Whigs unter Führung seines Gönners und Freundes Edmund Burke die Politik Warren Hastings‘ kompromißlos bekämpfen.

Die „Asiatick Society of Bengal“ wird als die erste Fabrik für Geschichts­fälschung und für Gehirnwäsche ausgebaut. Auch der erste Ministerpräsident des „unabhängigen“ Indiens, Jawaharlal Nehru, wird von der Gehirn­wäsche betroffen. Ich habe in dem Buch „Lügen mit langen Beinen“ darüber berichtet.

Zu „The Asiatick Society of Bengal“ haben Asiaten oder Bengalen keinen Zutritt. Warum auch? Sie sollten ja nur die „Geschichte“ und die „Geschichten“ der neuen Herrscher beherzigen und propagieren, wenn sie für sich Wohlstand im Leben anstrebten. Und was sollen Asiaten oder Bengalen dort zu suchen haben, wenn selbst der Gründer dieser Fabrik, der „Oriental Jones“, ihnen nicht einmal sprachlich folgen kann? Die „Asiatick Society of Bengal“ sät die Saat, die folgerichtig zum globalen Joch des industriellen Komplex Medien–Manipulation–Macht geführt hat.

Sir William legt auch den Grundstein für die Kolonisierung und Christianisierung der Kultur in Bharatavarsa. Ohne eine Silbe jener Sprache namens Sanskrit zu kennen, kürt er Charles Wilkins, der dank seines 14jähriges Aufenthaltes in Kalkutta über lokale Kenntnisse einschließlich der dort gesprochenen Sprachen verfügt, schon 1784 zum größten „Sanskritgelehrten“, um sich als zweitgrößten „Sanskritgelehrten“ zu positionieren. Diese Auslobung gilt heute noch.

Wer dieser Charles Wilkins ist? Über ihn sind nicht so viele Dokumente überliefert wie über Robert Clive, Warren Hastings oder William Jones. Aber genug, um das systematische der Perfidie zu begreifen. Für den untersten Dienst in der Kolonie lassen sich in der Regel nur solche junge Leute anheuern, die zu Haus weder Schule noch eine praktische Ausbildung geschafft haben. Sie sind noch „teens“. Charles Wilkins wäre − wie die meisten der East India Company − nie aufgefallen, wenn er nicht in Kalkutta eher zufällig sein verborgenes Talent als Tüftler entdeckt hätte.

Es ist die Zeit der Kon­solidierung der eroberten Macht der East India Company in Bengalen, nach der Schlacht von Palashy in 1757. Ihr Chef in Kalkutta – der vom „Haudegen“ zum „Generalgouverneur“ aufgestiegene Warren Hastings – will die Effizienz der Angestellten der Company durch das Erlernen der dort gesprochenen Sprachen erhöhen. Also Textbücher in der einheimischen Sprache müssen her. Setzer und Drucker lassen sich nicht so leicht in England für den unwirtlichen kolonialen Dienst anheuern. Dies ist die Stunde des Charles Wilkins. Er übt sich ein, bengalische Lettern in Brei zu gießen. So avanciert er bald zum Leiter zweier Druckzentren.

Er soll angeblich als erster die „Bhagavatgita“ ins Englische übersetzt haben. Das angebliche Schnuppern von Sanskrit in der Universität Varanasi soll ihn dazu befähigt haben. Bhagavatgita ist eine der zentralen Episoden im Mahabharata. Das Original ist nicht in der vedischen Sprache, sondern in Sanskrit. Übersetzungen liegen in allen gesprochenen Sprachen in British Indien vor, auch in Arabisch und Persisch, auch in Kalkutta. Was soll dann gegen eine englische Version sprechen? Eigentlich nichts, wenn nicht damit die Kenntnis der Originalsprache  beansprucht werden würde.

Sir William hat von sich behauptet 32 Sprachen zu können. Er selbst hat diese 32 nicht zusammen aufzählen können. Seine „Gelehrtennachfahren“ auch nicht. Er hat die sogenannte Übersetzung Bhagavatgitas von Charles Wilkins gefördert. Sie ist mit einem hochlobenden Vorwort Warren Hastings geschmückt, von Charles Wilkins in Kalkutta gedruckt und von der East India Company in England vertrieben. Wir haben es nicht geschafft, eine Kopie dieser Übersetzung aufzutreiben. Wir können nichts über die Rolle der „Pandits“ bei dieser Veröffentlichung sagen.

Diese Übersetzungskultur beherrscht den Markt heute noch. Die Bhagavatgita ist bis heute mehrere hundert Mal von „Gelehrten“ der blond–blauäugig–weiß–christlichen Kultur übersetzt worden. Immer vom Original, selbstverständlich.

Der zweitgrößte Sanskrit Gelehrte hat von Beginn an Charles Wilkins bekniet, mit Hilfe der „Pandits“ doch für ihn ein Wörterbuch zusammenzustellen. Charles Wilkins gelingt dies nicht in Kalkutta. Dann segelt er 1786 krankheitsbedingt zurück nach England. Er lebt lange. Ohne die „Pandits“ ist er hilflos. Statt des von Sir William ersehnten Wörterbuchs hat er 1787 eine Übersetzung eines Lesebuches vorgelegt. Es hat aber Übersetzungen dieser Fabelgeschichten auf Englisch und Französisch aus dem Persischen unter dem Titel „Fables of Pilpay“ schon vorgelegen. Wir wissen nicht, ob Charles Wilkins auch eine bengalische Fassung dieses Werks im Gepäck hatte. Trotz eines regen Marktes für Übersetzungen aus der Sanskritliteratur gelingt es ihm nicht, weitere Übersetzungen vorzulegen.

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1795 – Sir William ist bereits gestorben − veröffentlicht Charles Wilkins noch die Geschichte von „Dooshwanta und Sakoontala, übersetzt aus dem Mahabharata, eine Dichtung in Sanskrit, London, 1795“. Uns entgeht nicht, daß uns nicht mitgeteilt wird, in welcher Sprache Charles Wilkins der „Mahabharata“ vorgelegen hat.

Es entsteht wieder eine Lücke in seiner Biographie bis Charles Wilkins 1801 von der East India Company in ihrem neu errichteten Museum in London als Bibliothekar angestellt wird. Dann hat er um 1808 herum eine Sanskrit­grammatik herausgegeben. Er hat nie eine Sprache namens Sanskrit unterrichtet.

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Sir William ist emsig auch ohne ein Wörterbuch, ohne ein Grammatikbuch. Er gibt laufend interessante Geschichten unter dem Titel „Asiatik Researches“ heraus. Er kann alles in Kalkutta drucken lassen und via London in ganz Europa vertreiben. Die East India Company trägt die Kosten. Willig. Ihr nützen diese Publikationen. Sie verdecken effektvoll, daß Christen in den Kolonien vorsätzlich und fortwährend die „Zehn Gebote“ der Christen mit Füßen treten. Sind diese eigentlich nicht Verbote?

Sir William verlängert seinen Vertrag in Kalkutta um weitere fünf Jahre. Aus gesundheitlichen Gründen hat er seine Frau Lady Anna Maria bereits 1788 nach England zurück segeln lassen. Seine Gier nach Macht, Ruhm und Reichtum war größer als ein Wiedersehen mit seiner Frau. 1794 in Kalkutta scheidet Sir William aus dem Leben, aber seine Fabriken und Fabrikationen leben weiter.

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Doch hat keiner im Dunstkreis der East India Company Sanskrit gelernt und in Europa Sanskrit unterrichtet. Aber das Interesse für Sanskrit in Europa wächst rasant. Wie so? Eine psychosoziale Analyse dieser Frage und der europäischen Gelehrten wäre sicherlich brisant.

Das 19. Jahrhundert bringt viele Sanskritgelehrte hervor. Auffällig ist, daß nur die neuen Sanskritgelehrten die eigentlichen Sanskritgelehrten sein wollen. Und diese neuen Sanskritgelehrten wachsen wie Pilze, wie die Dokumente belegen. Allesamt Europäer, vor allem aber Deutsche, obwohl der Humus eher in Paris und London vorzufinden ist. Warum? Weil in den dortigen Museen jene wahllos beraubte Manuskripte und Bücher der alten Literatur lagern. Und deutsche Intelektuellen wollen beim Kolonialismusgewinn nicht ganz leer ausgehen. 

Diese neuen Sanskritgelehrten lernen die Sprache auf sonderbare Weise. Alexander Hamilton, Antoine Léonard de Chézy, Franz Bopp und August Wilhelm von Schlegel sind Pioniere. Aber die erste Buchveröffentlichung macht der Jüngere der Schlegelbrüder, Friedrich von Schlegel (1772–1829): Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur Begründung der Altertumskunde, Heidelberg 1808. Die allererste Veröffentlichung in deutscher Sprache dieses Genres. Für die Orientschwärmer soll das wie ‚ein neues Evangelium‘ gewesen sein.

Wie das Leben so spielt. 1803 leben Dorothea und Friedrich von Schlegel in Paris. 31jährig will Friedrich orientalische Sprachen lernen. Wie? Er sagt uns: „...weil die reichste Sammlung von Werken in oriental­ischen Sprachen ist dort aufbewahrt.“ Was die Sammlung von Werken mit dem Lernen orientalischer Sprachen zu tun hat? Es geht so: Man nehme sich eine übersetzte Version und die Originalversion eines Werkes vor. Diese übersetzte Version kann auch eine mehrfach übersetzte Version sein. Sanskrit, Persisch, Arabisch, Französisch usw., usw. So ist der Inhalt des Originals in etwa bekannt. Natürlich so weit, wie die jeweiligen Übersetzer ihn erfaßt haben. Dann beginnt das Rate­− und Phantasiespiel.

„Die Schlegels“ haben wenig Geld. Sie mieten eine große preiswerte Etagenwohnung. Sie möblieren die Zimmer für die Untervermietung. Am 15. Januar 1803 schreibt Friedrich seinem Bruder August: „Die Sprachlehre des gewöhnlichen Indischen (Welche? Wie soll er sie kennen?) habe ich gleichfalls schon (wie?); aber das Sanskrit werde ich erst im Frühjahr anfangen können. Denn es wird auf den Bibliotheken nicht eingeheitzt.“ Ist das nicht interessant?

Am 15. Mai 1803 berichtet er seinem Bruder über eine glückliche Fügung: „Sonst ist mirs aber vortrefflich ergangen. Denn vieles, vieles habe ich erlernt. Nicht nur im Persischen Fortschritte gemacht, sondern endlich ist auch das grosse Ziel erreicht, das ich des Sanskrits gewiß bin. Ich werde binnen vier Monaten die Sakontala in der Urschrift lesen können, wenn ich gleich alsdann die Übersetzung wohl auch noch brauchen werde. Ungeheure Anstrengung hat es erfordert, da eine große Complikation und eine eigne Methode des Divinirens und der Mühe; da ich die Elemente ohne Elementar–Bücher erlernen musste. Zuletzt ist mir noch zu statten gekommen, dass ein Engländer Hamilton, der einzige in Europa ausser Wilkins der es weiß, und zwar sehr gründlich weiß, mir mit Rath wenigstens zu Hülfe kam.“ Besser wäre unsere Beschreibung dieser abenteuerlichen Methode des Fremdsprachenlernens nie geworden.

Schon am 14. August 1803 läßt Friedrich von Schlegel seinen Bruder August wissen: „Ich habe unausgesetzt im Sanskrit gearbeitet, und nun schon einen recht festen Grund gewonnen. Ich habe nun wenigstens schon eine Hand hoch Manuscript was ich mir copirt, liegen. Jetzt bin ich bei dem 2ten Lexikon was ich mir copire. 3–4 Stunden Tags Sanskrit geschrieben, und noch 1 oder 2 Stunden es mit Hamilton wieder durchgearbeitet; und wenn ich Abends aufgelegt war, fand ich immer auch noch Arbeit von 2–3 Stunden genug.“ Er kopiert also handschriftlich aus den Sanskrittexten und geht sie mit Hamilton durch, der anscheinend die Buchstaben besser beherrscht.

Wo und wann Alexander Hamilton Sanskrit lernt, ist nicht bekannt. Bekannt ist, daß er im 4. Quartal 1784 in Kalkutta ankommt, bis 1790 in der Infanterie als Offiziersanwärter der niedrigsten Kategorie seinen Dienst verrichtet, und als Fähnrich vom Dienst verabschiedet. Er hat keinen Kontakt zu Sir William oder zu Charles Wilkins gehabt. Als ein schlichter Infanterist in Kalkutta hat er keine Möglichkeit sich einen „Pandit“ zuzulegen. Und es gibt auch keinerlei spätere Hinweise, daß irgendwann ein Alexander Hamilton in Kalkutta irgendjemandem aufgefallen war. Vom Sanskrit bewegten Orientalisten ganz zu schweigen.

Belegt ist auch, daß er sich zwei bis drei Jahre in Paris aufgehalten hat und einen Katalog der noch ungeordneten Bücher und Manus­kripte auf Bengali und Sanskrit zusammengestellt hat, der dann unter seinem und dem Namen des französischen „Orientalisten“ ohne indische Sprach­kenntnisse, Louis-Mathieu Langlès, 1807 gedruckt wird. Belegt ist ferner, daß er 44jährig 1806 im neugegründeten East India College in Hartford, England, für die Ausbildung von Nachwuchs für die East India Company mit dem Unterricht der orientalischen Sprachen betraut worden ist. 1814 veröffentlicht er „Terms of Sanskrit Grammar“, die einzige Veröffent­­lichung neben dem Katalog in Paris, die seinen Namen trägt. 1818 verläßt er auf eigenen Wunsch 56jährig das East India College. 1824 scheidet er fast unbemerkt aus dem Leben. Eigentlich eine tragische Biographie.

Wir haben nun abzuschätzen, von welcher Qualität sein Sanskrit in Paris gewesen sein muß, wann und wo er sein Sanskrit gelernt haben kann, und von welcher Qualität das „europäische Sanskrit“ vor seiner europäischen Standardisierung durch das erste Wörterbuch 1919 gewesen ist.

Antoine Léonard de Chézy arbeitet in der ägyptischen Abteilung des königlichen Museums in Paris. Die Verwalter der Beutekunst dürfen „Studienreisen“ nach Ägypten machen. Als 1803 eine solche Reise fällig ist, wird Antoine Léonard de Chézy krank. Aber zum Glück ist der betriebsame Louis-Mathieu Langlès da, die Nachrichtenbörse der ‚Orientbewegten’ in Paris. So erfährt Antoine Léonard de Chézy von der jungen deutschen Helmine von Hastfer – die befreundet ist mit Dorothea und Friedrich von Schlegel –, daß Friedrich von Schlegel von einem in Paris internierten Engländer, von Alexander Hamilton, Sanskrit lernt.

Es ist belegt, daß Alexander Hamilton und Antoine Léonard de Chézy sich häufig begegnet sind. Fest steht auch, daß Antoine Léonard de Chézy vor dieser Begegnung an Sanskrit nicht interessiert war bzw. wenig darüber gewußt hat. Er ist ja auch „Ägyptologe“. Nachdem seine Neugier geweckt ist, lernt er Sanskrit „insgeheim“ und „autodidaktisch“ und zwar nachdem Alexander Hamilton Frankreich wieder verlassen hatte. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie ein Franzose in Paris ohne Lehrer, ohne Grammatik– und Wörterbücher eine Sprache wie Sanskrit lernen kann. „Moderne Historiker“ und Indologen haben bislang keine Schwierigkeit, mit der Version „insgeheim“ und „autodidaktisch“ klar zu kommen.

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Das Leben ist halt auch damals unwägbar, voller Überraschungen, auch für späte „Genies“ menschlich, ja zuweilen allzu menschlich gewesen. Die 29järrige Helmine von Hastfer (1783–1856) begegnet 1812 Franz Bopp als Helmine de Chézy. Franz Bopp wird später die Deutsche Indologie begründen. Er ist am 14. September 1791 in Mainz geboren, in Aschaffenburg großgeworden. Sein akademischer Lehrer Carl Joseph Hieronymus Windischmann, Professor der Philosophie und Geschichte, ermuntert ihn und seinen eigenen Sohn zum Studium der „Sprachwissenschaft“, was das auch sein mag. Franz Bopp ist 1812 in seinem 21sten. Ihm ist klar geworden, daß Aschaffenburg ihm keine Zukunft bietet.

Die rastlose und orientbe­wegte Helmine heißt eigentlich Wilhelmine von Klenke. Vater Offizier, Mutter Dichterin. Sie lassen sich früh scheiden. Wilhelmine wächst ‚un­ter ungeregelten Verhältnissen‘, was das auch sein mag, auf. 16jährig heiratet sie 1799 Gustav Freiherr von Hastfer, nach einem Jahr ist sie geschieden. Die Gräfin de Genlis lädt sie 1801 nach Paris ein. Von 1803 bis 1807 gibt sie die Zeitschrift „Französische Miscellen“ heraus. 1805 heiratet sie 22jährig Antoine Léonard de Chézy, einen in Paris bekannter Orientalisten, der seit 1807 Persisch unterrichtet und später, 1816 als 33jähriger der erste Sanskritprofessor am Collège de France werden wird. 1810 trennt sie sich von Antoine Léonard de Chézy, behält seinen Namen, stolpert von einer Beziehung zur anderen, arbeitet journalistisch und führt das Leben einer „Emanze“ ihrer Zeit. Auch sie ist eine fleißige Briefschreiberin. Sie wird uns ab 1840 als Berichterstatterin ihrer Zeit und als Verfasserin ihrer Autobiographie erhalten bleiben. Sie empfiehlt dem jungen Franz Bopp nach Paris zu reisen, denn ihr geschiedener Mann, Antoine Léonard de Chézy, beherrsche Sanskrit.

Das Paris von 1812 ist attraktiv für die „Orientbewegten“. Die französischen Kolonisatoren und Missionare haben fleißig Manuskripte, Bücher und Kunstgegenstände in den Kolonien gesammelt, ohne sie lesen und verstehen zu können. Eigentlich nur erbeutet. Diese Beutegegenstände landen letztendlich in der „königlichen Bibliothek“ oder in dem „königlichen Museum“. Sie werden schlecht oder recht katalogisiert. Aus Ägypten hat Frankreich mehr Kulturgüter weggeschleppt als aus Indien. Eine solche Sammlung von Manuskripten in einer Bibliothek bildet immer einen Kristallisationspunkt für Interessierte aller Art.

Am 1. Januar 1813 hat Franz Bopp aus Paris seinen 1. Brief an seinen ‚verehrungswürdigsten Freund‘, Professor Windischmann, geschrieben: „...Ich habe mich seit dem ich hier bin einzig mit dem Arabischen beschäftigt, weil man mir gerathen, mir in demselben einige Fertigkeit zu erwerben, eh‘ ich zu anderen orientalischen Sprachen schreite. Habe ich in dem Arabischen mir einige Fertigkeit erworben und fange mit dem Persischen an, so hoffe ich nach 14 Tagen einen leichten Prosaiker in dieser Sprache lesen zu können; ... Nur die indischen Spra­chen werden hier nicht gelesen, und Niemand studiert sie. Ich werde den Sommer der einzige seyn, der sich damit beschäftigt. Ich denke näm­lich den Sommer das Persische und Sanskrit zugleich anzufangen. ... Bald hoffe ich Ihnen manche Blüthe persischer und indischer Dichter in Übersetzungen mittheilen zu können, wenn mir nur mein Schicksal so günstig ist, mich lange genug in Paris zu lassen. Chézy wird mir, wenn ich das Sanskrit anfange, gute Dienste leisten können. Er ist der Einzige, wie ich höre, der diese Sprache hier betreibt.

Franz Bopp ist aus ähnlichem Holz geschnitzt wie William Jones. Er beginnt nicht gleich mit dem Sanskrit. Daß ihm geraten wird, erst Arabisch zu lernen, offenbart uns eigentlich die Unkenntnis in Paris noch 1812 darüber, daß Arabisch und Sanskrit miteinander nichts zu tun haben.

Sein nächster Brief an seinen akademischen Lehrer ist datiert vom 29. April 1814: „Ich habe die ersten Schwierigkeiten der Sprache der indischen Weißheit besiegt. Ich sehe nun zu meinem Entzücken ein, daß ich im Stande bin der schönsten, wichtigsten, wohl auch einer der schwersten Sprachen des Orients ohne alle fremde Hülfe vollkommen mächtig zu werden. ... Ich finde die Ähnlichkeit des Sanskrits mit dem lateinischen und griechischen sehr groß. Sie ließe sich weiter durchführen als Schlegel (Friedrich von) gethan hat.

Bevor er Sanskrit kann, weiß er schon: „Die deutsche Sprache ist so sehr dazu geeignet, das indische Original treu wiederzugeben. Und ich will mein möglichstes dazu beitragen, das es (Ramayana) in deutscher Sprache geleßen werde. Den ersten, ins englische übersetzten Theil, bin ich itzt schon fähig zu übersetzen. Der 2te Theil soll auch bald erscheinen. ...Ohne eine Übersetzung, sollte es auch eine ganz freie sein, kann ich itzt noch kein indisches Manuskript übersetzen, auch Chézy kaum, der sich doch 6 Jahre länger damit beschäftigt.“ Wir notieren das Datum 27. Juli 1814.

1812 kommt Franz Bopp nach Paris, um von Antoine Léonard de Chézy Sanskrit zu lernen. Bis März 1814 lernt er nur Arabisch. Im Juli hat er seinem akademischen Lehrer berichtet, daß er Sanskrit nicht von Antoine Léonard de Chézy lernen kann. Wieso nicht? Weil Antoine Léonard de Chézy angeblich eben Sanskrit nicht kann. Außerdem braucht Franz Bopp keinen Sanskritlehrer. Denn: „Doch denke ich,... wenn ich alles was über indische Mythologie in europäischen Sprachen geschrie­ben, recht durchdrungen, und wenn ich dann selbst weiter gehen und aus den Quellen schöpfen kann, wenn ich mich mit den philosophischen Systemen Indiens vertraut gemacht habe, sowie auch mit denen unseres Vaterlandes und der Griechen, dann lieber Freund werde ich vorbereitet sein, indische Werke ohne Uebersetzung verstehen zu können, und auch wenn es seyn muß auch ohne Wörterbuch.

Angeblich beherrscht er die Sanskritbuchstaben und deren Laute so gut, daß er sich schon Gedanken darüber macht, diese auf seine Weise im Besitz zu nehmen. Wie soll er zur Beherrschung der Laute gekommen sein? Wer will es wissen? Sein weiteres Vorgehen hat er seinem akademischen Lehrer Windischmann am 27. Juli 1814 so erläutert: „...ich habe mir ein Alphabet ausgedacht, womit man Sanskrit–Buchstabensystem rein wiedergeben kann,... Ehe ich die Grammatik schreibe, werde ich wohl thun, erst mein Buchstabensystem bekannt zu machen, und hierzu will ich den Bhagawat–gita, den Sie aus einigen der schönsten Stellen von Schlegel (Friedrich von) übersetzt, kennen, mit dem Text und einer ganz wörtlichen lateinischen Uebersetzung herausgeben, und mein Bruder wird vielleicht einige Seiten in Dewanagari–Buchstaben stechen...“.

Er begründet auch sein Vorhaben. Wir lesen im gleichen Schreiben vom 27. Juli 1814: „Was in Calcutta im Originaltext gedruckt wird, kommt so theuer, daß kaum ein Einzelner, der nicht sehr reich, ohne große Aufopferung sich mehrere Bände anschaffen kann. Der 1ste Band des Ramayana kostet hier 160 Frank, die Grammatik von Carey 280 Frank etc.“ Er macht sich über den „Preis“ Gedanken. Er will vielen Deutschen die Originaltexte so billig wie möglich verfügbar machen. Und in diesem missionarischen Eifer will er sich Sanskrit auf seine persönliche Weise zum „Eigentum“ machen.

Er fühlt sich nicht nur dazu in der Lage, er begründet sogar seine Berechtigung, auch am 27. Juli. Aber durch erfundene Fakten: „Man schreibt das Sanskrit auf mehr als 10erley Weiße. Kurz, jede verschiedene Nation in Indien hat ihr Buchsta­bensystem dem Dewanagari oder dem eigentlichen Sanskrit–Buchstabensystem angepaßt, und schreibt das Sanskrit darin. Warum sollen wir Europäer, deren Sprachen doch auch von dem Sanskrit herkommen, nicht auch unser Alphabet jenem anpassen, um der Indier kostbareren Schriften um so mehr zu verbreiten?

Ja, warum sollen die Europäer nicht ihre eigenen „Sanskritschriften“ erfinden? Franz Bopp hat immer wieder betont, daß er Sanskrit ohne fremde Hilfe gelernt hat. Ich könnte und möchte ihm zu Gute halten, daß er dies nur auf Personen bezogen hat. Denn damals in Paris sind beispielsweise die folgenden „Grammatiken“ verfügbar: des Missionars William Carey A grammar of the Sungscrit language (Eine Grammatik der Sungscritsprache), 1804; von Henry Thomas Colebrooke A gram­mar of the Sanscrit language, 1805; von Charles Wilkins A grammar of the Sanskrita language, 1808; und des „senior Merchant on the Bengal establishment“ H. P. Forster An essay on the principles of Sanskrit grammar. Part I (Eine Abhandlung der Regeln der Sanskritgrammatik, Teil I), 1810. Ihre Qualität? Eigentlich selbstredend! Es sind halt die ersten Versuche zweifelhafter intellektueller Fähigkeiten. Die schnell auf einander folgenden Erscheinungsjahre zeugen nicht nur von Hast.

1816 legt Franz Bopp in Frankfurt das Buch vor: Über das Konjugations­system der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenen der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Nebst Episoden des Ramayan und Mahabharat in genauen metrischen Übersetzungen aus dem Originaltext und einigen Abschnitten aus den Vedas. Heraus­gegeben und mit einer Vorerinnerung begleitet von K. J. Windischmann. Wie hat Franz Bopp all dies zwischen 1812 und 1816 in Erfahrung gebracht? Und was hat gestimmt und was nicht? Wer konnte wollte das überprüfen?

Das von Sir William 1784 so ersehnte Sanskrit−Englisch−Wörterbuch kommt schließlich unter der Leitung von Horace Hayman Wilson (1786–1860) erst 1819 in Kalkutta heraus. Viele „Pandits“ sollen die ganze Arbeit gemacht haben. In welcher Sprache die vielen „Pandits“ mit den Mitgliedern der ehrenwerten kolonialen Gesellschaft kommuniziert haben und wie die Qualität des Austausches gewesen ist, ist nicht überliefert. Auch nicht über die wahre intellektuelle Qualität dieser „Pandits“. Fest steht nur, daß sie etwas geliefert haben, was gar nicht geht. Nämlich ein Sanskrit−Englisch−Wörterbuch. Die East India Company hat das Ganze finanziert.

August Wilhelm von Schlegel (1767–1835), der ältere der Brüder Schlegel, ist auch etwa zur gleichen Zeit wie Franz Bopp nach Paris gekommen. Dort wird er von Franz Bopp in das Studium von Sanskrit eingeführt. 1818 wird er 51jährig Professor für Sanskrit in Bonn. Als erster in Deutschland. 1825 wird Franz Bopp 34jährig Professor für Sanskrit in Berlin. Franz Bopp macht es möglich, daß sich nicht England, nicht Frankreich, nicht Portugal, sondern Deutschland zum Zentrum der Indologie entwickelt. Er wird der Sanskritpapst.

Am 15. Oktober 1800 wird ein weiterer „William Jones“ geboren: Thomas Babington Macaulay (1800 – 1859). Als Sprößling einer berühmten evangelischen Familie hat er einen besseren Start, aber sonst mit gleichen Charaktereigenschaften wie von William Jones. Er wird sich nicht nur zum „Gottvater“ der Theorie der „Arischen Rasse“ entwickeln.  

Er ist außergewöhnlich frühreif, beginnt seine Ausbildung 1818 im Trinity College, Cambridge, wird bekannt als Endlosredner und kongenialer Kumpel unter herausragenden jungen Männern in Cambridge. 1822 hat er sein B.A., studiert Jura ohne Begeisterung, schreibt Gedichte.

1823 wird ein weiterer “William Jones” in Dessau geboren, Friedrich Maximilian Müller.

1826 wird Thomas Babington als Rechtsanwalt zugelassen, praktiziert aber nie ernsthaft. Im Gegensatz zu William Jones muß er die ganze Familie ernähren als sein Vater pleite macht. Als Privatlehrer, durch Schreiben und von den Einkünften aus einem unteren Regierungsposten. 30jährig schafft er den Sprung in das Unterhaus für die Whigs von Calne in Wiltshire. Als eloquenter Redner in einer Zeit voll von mächtigen Rednern wird er zum Sekretär des „Board of Control“ der East India Company berufen. Er steigt rapide auf. Seine Ambitionen auch.

Er bastelt im Parlament an ein Gesetz, das ihm unmittelbar den lukrativen Posten eines Rechtsberaters im „Supreme Council of India“ einbringt. In der Encyclo­paedia Britan­nica wird es später heißen: “Macaulay akzeptierte die Einladung auf den neu geschaffenen Posten im Supreme Council of India zu dienen, voraussehend, daß er von seinem Gehalt genug Geld für das spätere Leben wird sparen können“. Salär 10000 Pfund.

Geschichtsfälschung? Wie auch immer! 1834 segelt er mit seiner Schwester Hannah nach Kalkutta, die ihn bald verläßt, um einen Charles Edward Trevelyan zu heiraten. Sie wird später seine Biographin und ihr Sohn sein späterer Biograph. Verschüttet werden damit die Machenschaften, mit denen Thomas Babington Macaulay im Parlament sein Einkommen von £1500 auf £10000 steigert. So schreiben Biographen „Geschichte“.

In Kalkutta bringt er am 2. Februar 1835 einen Entwurf des Erziehungs­programms für das kolonisierte Indien ein. Am 7. März wird entsprechend entschieden. Das Herzstück seines Programms ist: „Ich habe kein Wissen, weder über Arabisch noch über Sanscrit. … Aber ich habe getan, was ich tun konnte, um zu einer korrekten Einschät­zung dazu zu gelangen. Ich habe die berühmtesten Übersetzungen von Arabisch und Sanscrit gelesen. ... Ich bin bereit, die Bewertung eines oriental­­istischen Lernens der Orientalisten selbst zu akzeptieren. Ich habe keinen von denen gefunden, der leugnen würde, daß ein einziges Regal einer guten europäischen Bibliothek wertvoller ist als die ganze Literatur der Eingeborenen in Indien und in Arabien. Die immanente Überlegenheit der westlichen Literatur ist, in der Tat völlig akzeptiert (...) In Indien ist Englisch die Sprache der herrschenden Klasse...von allen Fremd­sprachen wird die englische Sprache für die Eingeborenen am meistens brauchbar sein. (...) Wir sind nicht damit zufrieden, die Einge­borenen in dem Einfluß ihrer eigenen vererbten Vorurteile zu belassen. ...es ist möglich aus den Eingeborenen dieses Landes absolut gute eng­lische Gelehrte zu machen. ... Wir müssen im Augenblick alles tun, um eine Klasse zu formieren, die Vermittler werden könnte zwischen uns und den Millionen von Menschen, über die wir herrschen; eine Klasse von Personen, Inder in Blut und Farbe, aber englisch im Geschmack, in den Meinungen, in den Moralvorstellungen und im Intellekt. Dieser Klasse können wir es überlassen, die einheimischen Sprachen des Landes zu verfeinern und mit wissenschaftlichen Begriffen, entliehen der westlichen Nomenklatur, anzureichern. Darüber hinaus sie schrittweise mit geeigneten Medien ausstatten, damit sie der großen Masse ihrer Bevölkerung Wissen vermitteln kann.

Es ist ein gründliches Programm für das kulturelle Klonen. An seinen Vater hat Thomas Babington Macaulay am 12. Oktober 1836 geschrieben: “Es ist mein fester Glaube, daß es, wenn unsere Erziehungs­pläne befolgt werden, innerhalb von dreißig Jahren von nun an keinen einzigen Götzendiener unter den achtbaren Schichten in Bengalen geben wird. Und dies wird erreicht werden ohne jegliche Bemühung zur Bekehrung, ohne die geringste Einmischung in ihre Religionsfreiheit, lediglich durch die natürliche Wirkung von Wissen und Überlegung. Ich habe herzliche Freude an diesem Vorhaben.

Nach seiner Rückkehr nach England in 1838 sitzt Thomas Babington Macaulay bald wieder im Unterhaus, nun für Edinburgh. In ganz Europa sucht er nach „Gelehrten“, die bereit wären, die alte Sanskritliteratur und die Veden in seinem Sinne zu übersetzen. Diese Übersetzung sollte „die neue Klasse“ der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur in Indien davon überzeugen, daß das Neue Testament der Bibel den alten Veden überlegen sei. Er findet schließlich 1854 Friedrich Maximilian Müller (1823–1900) aus Dessau. 1859 erfindet dieser die „Theorie der Arischen Rasse“. Er behauptet, er hätte eine Stelle im Rigveda gefunden, in der die „Arische Rasse“ besungen wird. Dabei kann er nachweislich die Veden nur in der Devnagrischrift buchstabieren. Vom Lesen und Verstehen der vedischen Texte ganz zu schweigen. Erst 1878 wird er zugeben müssen, daß die vedischen Texte nicht in klassischem Sanskrit geschrieben sind.

*****

 

Friedrich Maximilian Müller wird am 6. Dezember 1823 in Dessau, der Hauptstadt des kleinen unabhängigen Fürstentums Anhalt–Dessau, geboren. Der Großvater ist ein einfacher Händler, soll aber doch geachtet gewesen sein. Vater Wilhelm wird Lehrer am Gymnasium, heiratet Adelheide von Basedow. Die Basedows sind in Dessau angesehen. Vater Wilhelm stirbt 33jährig, hinterläßt aber − seiner Frau, seiner 6jährigen Tochter und seinem 4jährigen Sohn − kein Vermögen. Armut prägt Friedrich Maximilian. Die verwitwete Adelheide lebt zunächst bei ihrem Vater, dann aber nimmt sie eine Parterrewohnung in einem winzigen Haus. Sie muß mit etwa 150 Thalern im Jahr auskommen. Ehrgeizige Mutter, Abitur in Leipzig, kleines Stipendium von 15 Thaler, Burschenschaft, Studium der Philologie, klassische griechische und lateinische Literatur und Philosophie. Er studiert in Leipzig etwa zwei Jahre. Nirgendwo sonst hat er länger studiert.

Die folgende kleine Geschichte offenbart über ihn alles. Wir schreiben das Jahr 1841. Baron Hagedorn ist mit einer Cousine von Friedrich Maximilian „sehr befreundet“. Die ist mit einem Fürsten von Dessau verheiratet. Beide sollen überein gekommen sein, daß Friedrich Maximilian die orientalischen Sprachen auf dem orientalischen Seminar in Wien studiert und dann in den diplomatischen Dienst eintritt. Er soll nach einer Adoption den fürstlichen Namen tragen. Er hat dieses Angebot abgelehnt. Warum? Weil er seiner ersten Liebe, dem Sanskrit, nicht untreu werden wollte. Sie glauben dieser hübschen Geschichte nicht?

Unser Fundort ist seine Autobiographie, geschrieben an seinem Lebensabend, plaziert noch auf der vorletzten Seite (S. 93) vor dem Abschnitt „Auf die Universität“. Der Chronistenpflicht folgend muß ich anmerken, daß Friedrich Maximilian Müller erst im Wintersemester 1841/42 zum erstenmal mit Sanskrit in Berührung kommen wird.

Hermann Brockhaus kommt im Wintersemester 1841/42 nach Leipzig. Seine Sanskritlehrer sind August Wilhelm von Schlegel und Christian Lassen. Also, die „Schule“ des Autodidakten Franz Bopp. Er bietet seine Vorlesung über Sanskritgrammatik an. Auf welche hat er sich gestützt?

Und vor seinem Abgang nach Berlin will Friedrich Maximilian auch eine Vorlesung von Hermann Brockhaus über den Rigveda hören. Alle Indologen lesen Asiatick Researches. Thomas Henry Colebrooke, − auch einer mit schlierender Biographie und ohne Sanskritkenntnisse, − hat 1801 ein Essay über Rigveda veröffentlicht. Seitdem beschäftigt sich jeder Indologe mit dem Rigveda auf dieser Grundlage. Es kommt aber nicht dazu. Denn: „Hiermit bricht mein Kollegienheft ab, weil ich mich nunmehr rüstete, nach Berlin überzusiedeln, um Bopp und Schelling zu hören.“ Es gibt keinerlei Erwähnung einer Prüfung in Leipzig in seiner Autobiographie.

Bopp und Schelling lehrten in der philosophischen Fakultät an der Friedrich Wilhelm Universität in Berlin. Diese war keine Universität wie Leipzig, sondern eine Bildungsanstalt. In dieser Bildungsanstalt konnte nur promoviert oder habilitiert werden, auch wenn Studienanfänger nach einer Immatrikulation Vorlesungen besuchen dürften. Allerdings müßten Sie die Doppelte Kolleggebühr entrichten als jene, die an einer anderen Universität mit Erfolg Abschlußprüfungen abgelegt hatten. Nach seiner handschriftlichen Überlieferung an der Friedrich Wilhelm Universität war Friedrich Maximilian Müller in der Theologischen Fakultät als Studienanfänger immatrikuliert.

Franz Bopp begegnet Friedrich Maximilian Müller „sehr freundlich“, aber es ist doch eine Enttäuschung für ihn. Weil Franz Bopp (S. 128–129, Autobiographie): „damals im Alter von dreiundfünfzig Jahren schon ganz den Eindruck eines alten Mannes machte. Im Kolleg las er seine ‚Vergleichende Grammatik‘ mit Hilfe eines Vergrößerungsglases ab und fügte nur wenig neues hinzu. Er ließ mir einige Manuskripte, die er in seinen jungen Jahren auf Lateinisch abgeschrieben hatte (Ich bin Friedrich Maximilian Müller für diesen interessanten Einblick in die fleißige Tätigkeit Franz Bopps in Paris dankbar), aber bei wirklich schwierigen Stellen versagte seine Hilfe.

Auch in Berlin sieht er keine Perspektive einen „Abschluß“ zu machen. Zwei Tage später macht er den Eintrag in seinem Tagebuch (Nirad C. Chaudhuri, S. 43): „‚Ich kann Sanskrit nicht aufgeben, auch wenn dies keine Perspektive aufzeigt. Dann zwei Monate später schreibt er seiner Mutter in tieferer Niedergeschlagenheit: ‚Ich sehne mich weg von Berlin, um gründlich auf andere Gedanken zu kommen, weil ich hier alle Voraussetzungen habe, mich zu einem Hypochonder zu entwickeln. Dies ist kein vorübergehendes Gefühl, es gründet auf die Umstände, die mir manche traurige Gedanken verursacht haben. Ich erkenne, daß meine Lebensplanung nicht in Erfüllung gehen wird; Du kannst Dir vorstellen, wie schwer es mir fällt, mich von allen den mir liebgewordenen Ideen zu verabschieden. Und doch wäre es in meiner Situation eine Dummheit, eine Universitätskarriere anzustreben.‘

Wie groß seine Enttäuschung über Franz Bopp gewesen ist, läßt sich auch darin abschät­zen, daß er bereits nach einem ¾ Jahr in Berlin seine „Wanderschaft“ nach Paris fortsetzt. Er entscheidet sich für Paris, weil er seine Studien in Sanskrit dort fortsetzen will. Bei dem französischen Indologen Eugène Burnouf. Er ist seit 1832 Professor für Sanskrit am „Collège de France“. Er konnte Sanskrit nur von Antoine Léonard de Chézy gelernt haben, also jener der wie Franz Bopp Sanskrit ohne fremde Hilfe gelernt haben will, wie wir uns erinnern. Der 22jährige Friedrich Maximilian Müller muß in Paris auch noch Französisch lernen.

Für Paris bekommt er kein Stipendium und muß seinen Lebensunterhalt verdienen. Wie? Es gibt mehr Orientinteressierte als verfügbare Sanskrittexte in Paris. Kopiergeräte gibt es noch nicht. Es gibt naturgemäß einen Markt für handschriftliche Kopien. Mit den üblichen Abschreibfehlern, versteht sich. Aber wen interessiert das? Lesen wir in der Autobiographie, S. 142–143, von Friedrich Maximilian Müller: „Für den Augenblick konnte ich nichts weiter thun, um etwas Geld zu verdienen, als Manuskripte für andere abzuschreiben und zu vergleichen. … saß ich die ganzen Nächte durch und schrieb ab, als daß ich meinen Schülern eine Stunde opferte. Meine Lebensweise gestaltete sich jetzt folgendermaßen: eine Nacht arbeitete ich durch, die nächste schlief ich drei Stunden ohne mich auszukleiden, und die dritte Nacht ruhte ich mich im Bett aus. Dann ging es von vorn an.

Bis 1846 hat er alle in Paris verfügbare Sanskrit Manuskripte auch für sich kopiert. Er weiß, daß die East India Company über umfangreichere Manuskripte verfügt. Er kann nur einen vierzehntägigen Aufenthalt in London planen. In seiner Not sucht er Baron Christian Karl Josias von Bunsen (1791–1860) auf. Er ist geachteter Preußischer Gesandter am königlichen Hof in London. Er soll dem Vater Müller in Rom begegnet sein, als er beim Vatikan Gesandter war. Er ist ein gläubiger Christ und auch ein verhinderter Orientalist. In seiner Studienzeit hat er den Essay von Henry Thomas Colebrooke über „Veda“ von 1801 gelesen. Als ihm der 23jährige Friedrich Maximilian Müller von seiner Absicht berichtet, den Rigveda vollständig zu sammeln, lebt in ihm die alte Sehnsucht wieder auf. Er will Friedrich Maximilian Müller mit ganzer Kraft unterstützen.

Und er hat viel „Kraft“, nicht nur finanzielle. Während Friedrich Maximilian Müller fleißig Manuskripte abschreibt, gelingt Baron Bunsen nach langwierigen Verhandlungen die Zusage der East India Company zu erringen, daß die Company Friedrich Maximilian Müller mit £200 im Jahr aushält und die Veröffentlichung des Rigveda finanziert. Aber die East India Company heuert keinen „Fremdenlegionär“ an, ohne Kontrolle. Er wird unter die Obhut eines scharfen „Wachhundes“, gestellt, Horace Hayman Wilson. Ja, derselbe Horace Hayman Wilson, der 1819 das heute in Umlauf befindliche Sanskrit zuerst christianisiert hat. Auch einer mit schillernder Biographie. 

Wenn es möglich ist, durch handschriftliches Kopieren von fremdsprachigen Manuskripten dieser Sprache mächtig zu werden, dann war Friedrich Maximilian Müller der größte Sanskrit Gelehrte aller Zeiten. Nachdem er Söldner der East India Company geworden war, hat er nicht weiter Sanskrit lernen wollen oder müssen.

Anläßlich einer attraktiven Party erfährt Baron Bunsen 1854, daß Thomas Babington Macaulay schon seit langem auf der Suche nach einem verläßlichen „Sanskritgelehrten“ ist, der seiner „Erziehungspolitik“ in Indien einen wirksamen langfristigen Flankenschutz liefern kann. Die Einführung des Englischen Ausbildungssystems in Indien garantierte zwar, daß: ‚Kein Hindu, der eine englische Ausbildung erhalten hat, bleibt je seiner Religion ehrlich ergeben. Sein Vorhaben, ‚eine Klasse zu formieren, die Vermittler werden könnte zwischen uns und den Millionen von Menschen, über die wir herrschen; eine Klasse von Personen, Inder in Blut und Farbe, aber englisch im Geschmack, in den Meinungen, in den Moralvorstellungen und im Intellekt‘ entwickelte sich auch zwar prächtig. Aber seine „neue Klasse“ müßte gegen einen Rückfall immunisiert werden. Alle alten Sanskrittexte sollen im christlichen Geist übersetzt werden. Die Übersetzungen müssen den Markt überfluten. Von diesem Geist abweichende Übersetzer sollen vom Markt verdrängt werden.

Friedrich Maximilian Müller wird für die Immunisierung der „neuen Klasse“ auserkoren. Für gutes Geld der East India Company. Es sollen 10.000 Pfund im Jahr gewesen sein. Ein fürstliches Honorar für jemand, der an keiner Universität einen akademischen Grad erreicht und in Deutschland, im Eldorado der Indologie, trotz vieler Bemühungen nicht einmal eine Hilfsstelle ergattern konnte.

Er hat in die Welt gesetzt, daß in den „Hymnen“ im Rigveda die einge­wanderten „Indoeuropäer“ sich als „Arier“ bezeichnet und ihre ursprüngliche Heimat besungen haben. Es ist auch seine „Schöpfung“, daß fortan die vermeintlichen Einwanderer auch eine rassische Identität erhalten haben. Aber die Tücke des Objekts besteht darin, daß er während seiner „Schöpfungen“ den Unterschied zwischen vedischer Sprache und Sanskrit nicht gekannt hat.

Dafür hat er aber genau gewußt, wie man dem Gönner dient. Er hat mit Erfolg propagiert: „Sanskrit von einem Pandit in Indien nach dem einhei­mischen grammatikalischen System zu lernen muß ein sehr langweiliger Prozeß sein; und das ist der Hauptgrund, warum dieser Teil der Ausbildung eines Zivilisten in England erledigt werden sollte, unter Zuhilfenahme von Grammatiken, Wörterbüchern, und Lesebüchern, nach einem mehr rationellen System verfaßt als die Grammatik von Panini, das Mahabhashya, und die Amara–kosha.“

Er hat 51 Bände Heilige Bücher des Osten (Sacred books of the East) ediert und einige sogar übersetzt haben will. Damit wird die Übersetzung der Sanskrittexte noch unterhalb der Qualität des Wörterbuchs von Horace Hayman Wilson (1819) gestellt. Danach besinnt sich Friedrich Maximilian Müller auf den „Schatz“, den er „im Tal der Tränen“ während seiner Wanderjahre angesammelt hat. In seinem unerschöpflichen Eifer des Abschreibens hat er all jene in Europa herum schwirrenden Sanskrittexte in seinen Besitz gebracht. Warum nicht diese Sanskrittexte datieren? Keiner wird zu seiner Lebzeiten diese Datie­rung anzweifeln können. Gedacht getan. Recht hat er behalten.

Erst 1854 veröffentlicht ein „Bachelor of Arts von Oxford“ ein „Pandit“−freies Sanskrit−Englisch−Wörterbuch, das weltweit durchgesetzt hat. Jenes von William Monier Monier. Wie er das gemacht hat? Nun!

Lassen Sie mich mit einer kurzen Episode meine Ausführungen schließen, die auf Seite 289 in Lebenserinnerungen von Friedrich Maximilian Müller zu finden ist: „Ich saß einmal in meinem Arbeitszimmer in Oxford und schrieb Sanskrit–Manuskripte ab, als mir ein Besuch gemeldet wurde. Ein Herr in einem langen schwarzen Rock trat ein, der anders aussah wie alle, die mich sonst besuchten, und mich in einer Sprache anredete, von der ich nicht ein einziges Wort verstand. Ich sprach Englisch und fragte ihn, was für eine Sprache er denn rede, worauf er mit größtem Erstaunen zurückfragte: ‚Verstehen Sie denn nicht Sanskrit?‘ ‚Nein‘, erwiderte ich, ‚ich habe es nie sprechen hören; aber hier sind einige Veda–Handschriften, die Sie interessieren werden.‘ Er war hocherfreut, dieselben zu sehen, begann, sie zu lesen, mußte aber bald bekennen, daß er nicht imstande sei, auch nur ein einziges Wort zu übersetzen. Als ich mein Erstaunen darüber aussprach (was ich lieber nicht hätte thun sollen!), erzählte er mir, daß er nicht mehr an Veda glaube, sondern Christ geworden sei. Er hatte ein äußerst intelligentes, gedankenvolles Gesicht, seine Rede und sein Wesen waren sehr einnehmend, und wir waren bald tief im Gespräch. Sein Name war früher Nilkantha Goreh gewesen; seit seinem Übertritt zum Christentum hieß er Nehemiah Goreh.

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