„Sanskrit“ gilt als die höchst
entwickelte und kompliziertest organisierte Sprache. Selbst die
Datierungsakrobatiker aller Länder sind sich einig darüber, daß „Sanskrit“
früher entstanden ist, als überlieferte europäische Sprachen. Keiner weiß, wann
diese Sprache eine gesprochene gewesen ist. Die Frage und Antworten darauf überlasse
ich gern den Indologen und den Datierungsexperten, die es hingekriegt haben,
daß sich die Chronologie der moderne Kulturgeschichte der Menschheit, bemerkenswerterweise
in der Christlichen Schöpfungsgesichte hineinpaßt.
Wir haben alle wissen dürfen, daß seit
Menschengedenken anspruchsvolle wissenschaftliche und philosophische
Literatur wie die Veden, Upanishaden,
Puranas, Sutras, Brahmanas, usw., in „Indien“ gelernt, gelesen und rezitiert werden
in einer Sprache namens Sanskrit. Ich meine, daß dies heute noch so gelehrt
wird. Nur in dieser alten Literatur, kommt aber ein Landstrich namens Indien
nicht vor. Die Heimat dieser Literatur
ist Bharatavarsa.
*****
Was heute weltweit als Sanskrit in
Umlauf ist, ist eine geschriebene Sprache, in Umlauf gebracht durch sogenannte
Indologen aus Europa erst im 19. Jahrhundert. Ihre Indologie soll Wissenschaft
über „Indien“ sein. Indologen und Indologie nehmen in der
Wissenschaftsgeschichte etwas Einmaliges in Anspruch. Sie wollen über die
Schrift einer Sprache namens Sanskrit – also über deren Buchstabe, Wort, Satz,
Text – die Geschichte und die Kultur jenes weiten Gebiets, vom Süden Himalajas
bis hin zu den Ozeane, namens Bharatavarsa, kurz das alte “Indien“ erschließen,
seine Bewohner, seine Kultur, seine Geschichte beschreiben. Meine Phantasie
reicht nicht aus, mir vorzustellen, wie dies geschehen könnte.
Sprache ist immer ein Zweckmittel des
Gedankenaustausches. Eine reiche Sprache ist der Ausdruck eines reichen
Erfahrungsschatzes jener, die die Sprache gestaltet haben.
Schrift hat mit dem Reichtum einer
Sprache nichts zu tun. Die Schriftlichkeit einer Sprache ist eine spätere
Entwicklung als die Sprache selbst. Das Erschließen einer fremden Sprache durch
ihre Schrift, ist kaum möglich und erschließt gewiß nicht den Erfahrungsschatz
einer Sprache.
*****
Ich bin kein
Soziologe. Als Gesellschaftswissenschaftler glaube ich immer weniger und stelle
mehr Fragen als andere. Dabei habe ich nicht selten noch un−erzählte
Geschichten großer Tragweiten entdeckt.
Seit der Gründung der
Universität Oldenburg waren meine Veranstaltungen im Fachbereich
Sozialwissenschaften Projekte des „forschenden Lernens“, d. h. statt entlang
vorfabrizierter Theorien das „Lernen“ üben, mit offenen Fragen das Forschen
beginnen und beim Forschen lernen.
1996 wollten wir
wissen, seit wann es bekannt ist, daß es ‚Indogermanen‘,
‚Indoeuropäern‘ und ‚Ariern‘ gegeben hat. 2004 habe ich das Projekt mit
dem Buch: LÜGEN MIT LANGEN BEINEN.
Entdeckungen, Gelehrte, Wissenschaft, Aufklärung. Dokumentarische Erzählung,
440 S., ISBN 3-935418-02-7, abschließen können.
‚Indogermanen‘,
‚Indoeuropäer‘ und ‚Arier‘ haben wir nicht gefunden, aber doch deren
Erfinder. Die Erfundenen Geschichten gehen trotz offenkundigen Widersprüchen
bei den nachwachsenden Wissenschaftlern glatt durch. Die Erfinder haben
Ehrenplätze in der Ahnengalerie. Einige davon sind Säulenheilige. Alle diese
Gelehrten haben ihre Ehrenplätze mit Lügengeschichten erkauft. Viele haben
diese Lügengeschichten gebraucht bzw. mißbraucht. Nicht nur Adolf Hitler.
Aber was diese
Gelehrten und deren nachwachsenden Jünger mit der Sprache „Sanskrit“ geleistet
haben, hatte mir zunächst die Sprache verschlagen. Ich bin kein
„Sanskrit–Gelehrter“. Ich bin überhaupt keine Gelehrter. Ich bin ein schlichter
Suchender. Ich habe mühsam lernen müssen, unbeirrt und erbarmungslos Fragen zu
stellen und Antworten darauf zu suchen.
Ich setze mich schon
lange nicht mehr mit Gelehrtenweisheiten auseinander, bevor ich nicht weiß, wer
der Betreffende ist, wie er zu seinem Thema gekommen ist, wie er zu seiner
Erkenntnis gekommen ist, wer ihn ausgehalten hat, wer von seinen
Arbeitsergebnissen profitiert und wer verloren hat, kurz: bevor ich seine
dokumentierte Biographie kenne.
Wie gesagt: ‚Indogermanen‘, ‚Indoeuropäer‘ und
‚Arier‘ haben wir nicht gefunden, aber wir haben eine Sprache namens
„Sanskrit“ gefunden. Die gibt es wirklich. Hier sind in aller Kürze ein Paar
Stichpunkte der Geschichte, die ich erzählen könnte, ja erzählen möchte.
Erst fallen die
„Großen Entdecker“ in „Indien“ ein, rauben, morden, schleppen alles weg, was
nicht niet– und nagelfest ist, besetzen das Land und beuten es langfristig aus.
Nach der ersten Konsolidierung heuert die ehrenwerte Gesellschaft wortgewaltige
Söldner an, um Grundsteine langfristiger Ausbeutung und Unterdrückung zu legen.
Dabei werden sie mit anspruchsvoller Literatur in einer nicht mehr gesprochenen
Sprache konfrontiert, die aber dort doch allgegenwärtig ist. Sie tun sich damit
schwer. Sanskrit soll sie heißen.
Ab 1786 wird
behauptet, daß zwischen Sanskrit, jener Sprache der nordwestindischen „Arier“
einerseits und Griechisch, Latein, germanischen und keltischen Sprachen
andererseits, eine enge sprachliche Verwandtschaft besteht. Von da ist es ein
kleiner Schritt zur „Familie der indoeuropäischen Sprachen“.
Erbeutete Sanskrittexte,
später auch „Sanskrit“, werden nach Europa verschleppt, die Sprache der Texte
wird in Sanskrit–Englische Wörterbücher gepreßt und mit Hilfe dieser
Wörterbücher werden die Texte übersetzt, und die Wörterbücher samt
Übersetzungen alter Texte nach Indien gebracht, damit es in den von den
„Kolonisatoren“ errichteten Schulen und Hochschulen unterrichtet werden kann.
Ich verspreche, eine aufschlußreiche,
zugleich spannende Geschichte zu erzählen. Wie war der Wanderweg von „Sanskrit“
von „Indien“ nach Europa? Wer, wie und von wem lernten jene diese Sprache, die
dann diese in Europa unterrichtet und verbreitet haben?
*****
Ab Ende des 19. Jahrhunderts wird in den
Universitäten Deutschlands flächendeckend Indologie gelehrt. Nichts läuft in der
Indologie ohne jene Sprache namens Sanskrit.
Aber wie wanderte diese Sprache namens Sanskrit nach Europa?
Wer entdeckte sie? Wo? Wann? Die Suchreise rückwärts macht den ersten
Leuchtturm sichtbar. Erst ab 2. Februar 1786 gilt, unwidersprochen, was der
Gründerpräsident der Asiatik Society in Kalkutta in einer Festrede als seine
Entdeckung verkündet hat.
„Die Sprache Sanskrit,
wie alt sie auch sein mag, ist von wundervollem Gefüge; vollendeter als
Griechisch, reichhaltiger als Latein, und mehr exquisit verfeinert als beide,
bringt sie dennoch zu diesen beiden eine stärkere Affinität hervor, sowohl in
den Wurzeln der Zeitwörter als auch in den Formen der Grammatik, als es
möglicherweise durch Zufall zustande gekommen sein könnte; in der Tat so stark,
daß kein Philologe sie alle drei untersuchen könnte, ohne zu glauben, sie seien
irgend einer gemeinsamen Quelle entsprungen, die, vielleicht, nicht mehr existiert,
es gibt einen ähnlichen Grund, obwohl
nicht so zwingend, um anzunehmen, daß sowohl Gothisch wie auch das Keltische,
obwohl mit einer ganz anderen Sprache vermischt, den gleichen Ursprung hatten
wie das Sanskrit; und man könnte das alte Persisch dieser Familie hinzufügen,
wenn dies der Ort wäre, um jegliche Frage
betreffend die Altertümer Persiens zu erörtern.“
Dieser Präsident der Asiatik Society in Kalkutta hat uns
nicht erzählt, wie er zu seiner Entdeckung gekommen ist. Kein moderner
Wissenschaftler hat bislang seine Entdeckung in Frage gestellt. Dieser
Präsident heißt William Jones, Sir William Jones, 40 Jahre alt, ist seit Herbst
1783 als britischer Richter in Kalkutta postiert.
Der eigentliche Haken an dieser kühnen Entdeckung ist, daß
unser William 1786 nachweislich weder die Sprache namens Sanskrit, noch eine der
gesprochenen Sprache in Britisch Indien sprechen kann. Wie gut sein Griechisch
gewesen ist, kann nicht beurteilt werden.
Binnen Monaten nach seiner Ankunft in Kalkutta hat er seine
Asiatik Society gegründet. Nur koloniale Ausbeuter britischer Herkunft haben
Zugang. Keine Asiaten. William Jones benutzt diese seine Asiatik Society als Vehikel
zum Transport seiner Geschichten Asiens mittels einer Schriftenreihe
namens Asiatik Researches, finanziert durch die East India
Company. Dies ist die erste Fabrik für systematische Gehirnwäsche. Auch heute
noch sind wir davon nicht verschont.
Wer ist dieser William Jones wirklich? Geboren 1746. Seine verarmte,
alleinerziehende, vom Ehrgeiz geplagte Mutter dressiert ihn zum fleißigen, bedingungslosen
Karrieremacher. Unter großen materiellen Verzichten bringt sie ihn in Harrow unter,
der exklusiven Grammer School. Bereits in
Harrow entwickelt er sich zum skrupellosen Emporkömmling, zum
Glücksritter per excellance. Aber er
leidet unter der Armut seiner Mutter und seiner Schwester.
Danach studiert er Literatur in Oxford. Dort erwirbt er den
Beinamen „Oriental Jones“, gestützt auf seine Behauptung, er sei der arabischen,
der persischen und der chinesischen Sprachen mächtig. Er habe aus diesen
Sprachen Gedichte ins Englische übersetzt. Wer soll was prüfen? Unter Blinden
ist der Einäugige König. Wo, wann, von wem er diese Sprachen lernte, hat er
nicht verraten.
Ein
unerwartetes Glück widerfährt ihm im Frühjahr 1765. Er hat sein 19. Lebensjahr
noch nicht vollendet. Er bekommt das Angebot, Hauslehrer für den 7jährigen Lord
George John Althorp zu werden, den Sohn des Grafen John Spencer. Wie?
Empfehlungen um Ecken.
Am 5.
September 1768 bittet William Jones Lady Spencer schriftlich, daß sie Lord
Spencer bitten möge, sich bei dem 3. Herzog von Grafton, der von 1767–70 das
Kabinett des Königs George III leitete, dafür zu verwenden, daß der 3. Herzog
von Grafton ihn für die fast ehrenamtliche Professur (ca. £400 für drei bis vier Vorträge im Jahr) für moderne Sprachen
in Oxford empfiehlt. Nicht, weil er selbst unbedingt darauf erpicht ist,
sondern weil seine Freunde ihn zu dieser Bewerbung drängten.
Nun, es
hat nicht geklappt mit der ehrenamtlichen Professur. Aber er vermarktet seine
„Kenntnisse der orientalischen Sprachen“ von Wimbledon aus doch so
wirkungsvoll, daß jener 3. Herzog von Grafton ihm alsbald den gut dotierten
Posten eines Dolmetschers für orientalische Sprachen anbietet. Ein äußerst
lukratives Angebot, einem 22jährigen, der seine angeblichen Kenntnisse der
„orientalischen Sprachen“ durch nichts belegen kann. Was für ein Glücksfall. Und
unser William leidet doch so darunter, daß er seine Mutter und seine Schwester
finanziell nicht unterstützen kann.
Er soll das Angebot schriftlich abgelehnt
haben. Die Begründung bleibt unbekannt, weil dieses Schriftstück nicht mehr auffindbar
gewesen sein soll. An dieser Stelle bin ich doch versucht, einmal zu
spekulieren. Er hätte die Stelle angenommen, wenn er die verlangte Leistung
eines Dolmetschers für orientalische Sprachen tatsächlich hätte erbringen
können. Er wäre bald Botschafter seines Landes in einem der „orientalischen
Länder“ geworden. Aber Dolmetschen in Regierungsgeschäften ist stets ein
Ernstfall. Bluffen und hochstapeln in Seminaren oder in Salons ist mit geringem
Risiko verbunden. Seine Dreistigkeit erfährt Grenzen.
Am 19.
September 1770 nimmt er das Studium der Gesetze im Middle Temple auf. 1774 wird
William Jones als Anwalt zugelassen. Mit der Zeit kennt er wichtige
Persönlichkeiten der Londoner Gesellschaft, gehört dazu, doch kommt er zu keinem
lukrativen Posten.
Zu
dieser Zeit hat die East India Company große Gebiete in Bharatvarsa besetzt.
Bereits 1773 werden diese in das Eigentum der „Krone“ überführt und fortan von
einem „Governor–General“ und von einem vierköpfigen „Council“ gemeinsam
verwaltet. Dazwischen wird ein Gericht, „Supreme Court of Judicature“,
geschaltet. Und dieses Gericht hat vier gut dotierte Richter. Alle ernannt für
fünf Jahre durch das britische Parlament und vom Vorstand der East India
Company.
Im
November 1777 stirbt Stephen Caesar LeMaistre, einer der Richter des „Supreme
Court“ in Kalkutta. Die Nachricht erreicht England im Frühjahr 1778. William
Jones will diese Stelle haben, weil er ja der „Orientalist“ im Lande ist und
ein Jurist auch noch. Zwar ist dieser „Orientalist“ der Überzeugung, Persisch
sei gleich „Indisch“, aber was macht das schon! Außerdem hat er Zugang zu Lady
Spencer.
Er hat
häufig die Regierung in den kolonialen Angelegenheiten beraten. Doch scheitert
er in seinen Bemühungen, den Job des in der Hackordnung 4. Richters in Kalkutta
zu ergattern. Enttäuscht will er nach Amerika auswandern. Er trifft alle
Vorbereitungen. Er übernimmt auch als Rechtsanwalt den Fall eines Freundes in
einer Erbschaftsangelegenheit in West Virginia. Er verschickt Abschiedsbriefe
und bucht Schiffspassage. Als er schon fast unterwegs ist, aber noch bevor er
sich von Dover nach Calais begibt, erhält er am 3. März 1783
die Nachricht, daß er die Stelle des
Richters bekommt, obwohl unser William inzwischen in alle möglichen Fettnäpfchen
getreten hatte.
Er läßt Amerika Amerika und Freund Freund sein. Die
Erbschaft seines Freundes in West Virginia von ca. 50.000 $ und sein verabredetes
fettes Honorar interessiert ihn nicht mehr. Er greift spontan zu Feder und
verkauft seine Seele seinem vermeintlichen Gönner. Nur der vermeintliche Gönner
ist nur ein vermeintlicher. Also verkauft er seine Seele ein zweites Mal,
nachdem er erfährt, wer der wirkliche Gönner gewesen ist.
Der König von England läßt in dieser Phase keinen „William Jones“ in
die Kolonien reisen ohne einen Titel. Wer leitend für die Company in Bengalen
tätig werden soll, muß auch einen „honorigen“ Titel tragen: mindestens „Sir“. Hektische
Tage. Nach der Ernennung wird William Jones am 20. März zum Ritter geschlagen.
Am 8. April heiratet Sir William seine langjährig angebetete Anna Maria
Shipley, eine etwa gleichaltrige reiche Frau. Er ist jetzt siebenunddreißig.
Zeit der Verabschiedung. Bengalen ist weit weg. Die Fregatte „Crocodile“ segelt
schon am 11. April los.
Es ist nicht überliefert, ob er auf seiner monatelangen Reise Literatur
über „Indien“ im Gepäck gehabt hat. Zu der Zeit hat es viele verläßliche Bücher
über „Indien“ gegeben, nicht von christlich–europäischen Autoren, aber doch von
persischen, arabischen und hellenischen Autoren. Unser William soll ja dieser
drei Sprachen mächtig gewesen sein. Überliefert ist sicherlich nicht zufällig,
daß er das Buch der Bücher mit im Gepäck gehabt hat.
Auf der „Crocodile“ ist er für fünf lange Monate gefangen. Also hat er
Zeit. Zeit genug in seinem Innersten den eifrigsten Missionar zu entdecken. Er besinnt
sich wieder auf den „Oriental Jones“. Als solcher hatte er Bengalen − sprachlich
wie kulturell − für einen Hinterhof
Persiens verkauft. Seine Pappenheimer sind halt ignorant. Daß er aber schon
vor seiner Ankunft viele große geistigen „Entdeckungen“ schriftlich ankündigt,
haut mich wirklich um. Keiner hat sich darüber gewundert. Bis heute. Oder weiß
ein „Genie“ doch alles schon im Voraus, was er wo und wann tatsächlich
entdecken wird? Und wie kann einer wissen, was er entdecken wird, wenn das zu
entdeckende Objekt doch längst bekannt ist? Machen wir einen Denkfehler? Oder
müssen wir über das „Entdeckungszeitalter“ neu nachdenken?
Er ist schlau genug zu erahnen, daß er aus dem fernen Bengalen erzählen
kann, was er will. Hauptsache, daß die Erzählung plausibel klingt, absetzbar
ist und der Krone nicht schadet. Er entwirft ein Mammutprogramm: Sechzehn
Themen zur Geschichte der Menschheit. Er will nicht die asiatische Welt in
Europa bekannt machen durch Übersetzung der asiatischen Literatur. Nein. Er
will die Geisteswelt Asiens selbst beschreiben.
Tatsächlich hat er nicht nur den Grundstein für diese Fabrikation
gelegt. Die Produkte seiner Fabriken und die der Nachfahren des Sir William gelten
heute noch.
*****
Das heutige Sanskrit ist eines dieser Produkte aus Kalkutta. Die
Indologie ursächlich auch. Erst im späten 19. Jahrhundert wird sich auch für
die Indologen herausstellen, daß die ältesten und die anspruchsvollsten
Literatur Bharatavarsas, die Veden, nicht in der Sprache Namens Sanskrit
verfaßt sind, sondern in vedischer Sprache, die wesentlich älter ist als „Sanskrit“.
Genau so wie „Sanskrit“ älter ist als Prakrit. Gemeinsam sind ihnen nur die
Schriftzeichen. Wer die Schriftzeichen kann, wird vedische Texte wie Prakrit
oder „Sanskrit“ entziffern können, aber nicht artikulieren und verstehen. Die
europäische Überlieferung der vedischen Literatur, die heute noch im „Markt“
sind, ist so übersetzt, als sei das Original in der Sprache Namens Sanskrit
gewesen. Dieser Tatbestand allein besagt, daß die indologischen
Druckerzeugnisse an sich und für sich genaugenommen nicht das Papier wert sind.
*****
Um Verwirrungen klein
zu halten, eine Information im Voraus, als Merkposten. Sie stammt nicht aus der
Schatzkiste der Indologen, oder der modernen Wissenschaften. In aller Kürze.
Nach der vor indologischer Überlieferung
existierten lange drei dominierende Sprachen in Bharatavarsa. In der
schriftlosen Zeit. „Bhoota Bhasha“, „Chhando Bhasha“ und „Laukika Bhasha“.
Bhasha heißt Sprache. In der überlieferten vedischen Literatur wird „Bhoota
Bhasha“ nicht verwendet. „Chhando Bhasha“ ist die Sprache der Veden. Viele der
Kommentare über die Veden sind in „Laukika Bhasha“ überliefert. „Laukika
Bhasha“ ist das eigentliche Sanskrit.
Viel Zeit sind
vergangen und viele Wege sind zurückgelegt, bevor die Schrift als Mittel für
den Außenspeicher für diese Sprachen erfunden
wurde: Laute zu Buchstaben pressen. „Bhoota Bhasha“ hat 42 Buchstaben, „Chhando
Bhasha”, die Sprache der Veden, 97 und „Laukika Bhasha”, Sanskrit, 63 bzw. 64
Buchstaben. Es ist nicht genau überliefert, ob auch „Bhoota Bhasha“ Schriftzeichen
erfunden hat. Bekannt ist, daß „Chhando Bhasha” zunächst das Schriftzeichen
„Brahmi“ erfunden hat und dann Devanagri. Devanagri ist auch die Schriftart von
„Laukika Bhasha”. Nach der Erfindung von Devanagri wird eine vierte Sprache
überliefert: „Devanagri Bhasha“ mit 51 Buchstaben.
Diesen Teil des
Merkpostens möchte ich mit zwei Fragen zum gründlichen Nachdenken abschließen:
−
Wie
viele Buchstaben haben die Muttersprachen der Indologen?
−
Und
was bedeutet die unterschiedliche Anzahl von Buchstaben?
Die drei
letztgenannten Sprachen mit den Devanagri Schriftzeichen haben einen besonderen
Aspekt gemeinsam. Auch die kürzesten Laute, die Silben, werden nach strengen
Regeln gebildet. Und sie sind unterschiedlich wichtig. Die Hauptsilben, die
Wurzeln so zu sagen, entfalten sich zu Wörtern in denen andere Silben vor– oder
nachgesetzt werden, oder beides. Dabei verändert sich auch der Sinn der
„Wurzeln–Silben“ je nach Wortbildungen.
Ohne Kenntnis des
Sinns der einzelnen Silben, deren vielfältigen Kombinationen und der grammatikalischen
Regeln können die Wörter nicht verstanden werden. Auch gleiche Wörter haben
unterschiedlichen Sinn, je nachdem wie sie im Satz angeordnet sind und was der
ganze Satz bedeutet. Der Sinn des ganzen Satzes ist wiederum von dem Sinn des
ganzen Absatzes, der Sinn des ganzen Absatzes von dem Sinn des gesamten
Abschnitts abhängig. Deshalb hat es in diesen Sprachen keine Wörterbücher gegeben.
Statt Wörterbücher
gibt es umfassende Grammatikbücher. Wie sich Samen (Wurzelsilbe) zum Baum mit
Verzweigungen (eine Abhandlung des ganzen Abschnitts) entwickelt, läßt sich
beim Vorbeihuschen nicht erlernen. Auch die Grammatikbücher entstehen nicht aus
dem Nichts. Das Entstehen umfassender Grammatikbücher setzt schon
umfangreiche literarische, metaphysische und wissenschaftliche Bücher voraus.
Und nicht umgekehrt.
Die späteren
grammatikalischen Regeln helfen den Sinn in den Büchern zu verstehen.
„Sprachwissenschaften“ hin, „Vergleichende Sprachwissenschaften“ her. Ohne
Antennen für vedische Metaphysik und vedische Wissenschaften lassen sich diese
Sprachen nicht erlernen. Und möglicherweise sind sie für den alltäglichen
Umgang zu keiner Zeit gelernt worden. Nirgendwo. Dies mag die Ursache dafür
sein, daß aus dem wirklichen
Sanskrit Prakrit, Pali (Sprache der buddhistischen Literatur) bis hin zu den 14
Hauptsprachen, in der Verfassung der Republik Indien benannt, entstanden sind.
Nur am Rande sei
vermerkt, daß von Pali abwärts mehrere Arten von Schriftzeichen erfunden sind. Diese
neueren Sprachen haben 43 Buchstaben.
Die Grammatik, also
das Regelwerk, ist in keiner Sprache Selbstzweck. Das Regelwerk für eine
Sprache ist nicht von der Erfindung einer Schrift abhängig. Es entsteht früher.
Wir machen uns selten klar, daß das Schriftzeichen und die Schrift lediglich
später entwickelte Transportmittel der Sprache sind. Und Transportmittel sind
überflüssig, wenn es nichts zu transportieren gibt.
Die Wissenschaftler
aus der blond–blauäugig–weiß–christlichen Kultur – bitte stolpern Sie nicht
über diesen Begriff, eine kurze Begründung folgt − haben sich keine Gedanken
darüber gemacht, warum es auch für das wirkliche Sanskrit keine Wörterbücher
gegeben hat. Sie haben sich darauf gestürzt, Wörterbücher herzustellen. Sie
haben nie begriffen oder eher nie begreifen können oder wollen, daß es keine
Abkürzungen zu diesen alten Sprachen mit dem Devanagri Schrifteichen geben
kann. Was die Folge davon ist, werden wir bald hören.
Blond–blauäugig–weiß–christlichen
Kultur ist kein Begriff, sondern die Benennung jener vier Säulen der heute
herrschenden Kultur. Vor der systematischen Besatzung, Raub, Mord und
Vernichtung kultureller Werte der nicht−christlicher
Kulturen hat es meines Wissens keine Unterscheidung der Gattung Mensch auf der
Grundlage äußerer Merkmale gegeben. Die systematischen Besatzung, Raub, Mord
und Vernichtung kultureller Werte der nicht−christlicher Kulturen setzt sich
mindestens mit gleicher Wucht hinter unterschiedliche Masken immer noch fort.
Kreuzzüge, Reconquista, Piraterie, Kolonisation, die beiden als solche
anerkannten Weltkriege, abwerfen von Bomben (einschließlich der atomaren), Demokratiezüge,
humanitäre Einmischungen sind Namen der Masken.
Die
Wurzel dieser Kultur geht zurück auf die allererste „Offenbarung“. Juden,
Christen und Muslime sind von derselben Brut. Nur Juden und Muslime waren noch
nicht so leistungsstark wie die Christen. Glauben und Verlogenheit sind ihre bestimmenden
Prinzipien. Der „Gott“ hat Moses offenbart und die zehn Gebote auf Stein
gemeißelt. Wieso Gebote, sie sind doch Verbote? Oder? Wenn Gott (was oder wer
ist Gott) einem die Wahrheit offenbart, muß man nicht daran glauben oder daran glauben
müssen? Wie war eigentlich die Zeit lange vor Moses? Die Gattung Mensch hat
eine längere Geschichte als jene kurze nach Moses. Oder?
Auch ich bin ein Teil
dieser Kultur. Wir sollten nicht verdrängen, daß Goebbels und Hitler die
Prototypen von blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur gewesen sind. Wir
sollten auch den Christus in den Kirchen genau anschauen, einschließlich in den
Augen. Und was sehen wir? In LÜGEN MIT LANGEN BEINEN sind die vier Säulen
dieser Kultur erschöpfend dokumentarisch behandelt worden.
Ich schließe den
Merkposten mit einem Hinweis ab: In der alten Literatur in Bharatavarsa finden
„Einwanderung“, „Rasse“, „Kaste“, „Indien“, „Hindu“, „Glaube“, „Religion“,
„Tempel“, usw. nicht statt. Es sind später erfundene Begriffe durch Fremde, vorwiegend
durch Kolonisatoren.
*****
Alle
uns bekannten Gattungen verständigen sich mit Laute und Gestik. Jede Gattung verfügt
über bzw. besitzt eine spezifische endliche Bandbreite der Laute und Gestik. So
verständigen sich Katzen und Hunde aller Länder ohne wissenschaftliche Stützen.
Auch Menschen aller Länder haben sich schon immer verständigt und tun dies heute
noch. Ohne die Stützen der Sprach– und verwandte „Wissenschaften“.
Seit
wann gibt es sie überhaupt, diese vielen Wissenschaften zur Kommunikation? Sind
sie vorkoloniale oder nachkoloniale?
Nur die Gattung
Mensch ist für den Austausch untereinander weiter gegangen als nur wenig−modulierte
Laute und einfache Gestik anderer Gattungen. Ob andere Gattungen wie die
Ameisen gleiches geleistet haben, ist mir nicht bekannt.
Der ursprüngliche
Austausch unserer Vorfahren muß über Laute und Gestik von Angesicht zu
Angesicht stattgefunden haben. Überall.
*****
Ich stelle mir vor, daß unsere Vorfahren ihr
Umfeld und die Welt immer abgestufter, immer genauer wahrgenommen haben. Und
beim Austausch von Wahrnehmungen und Erfahrungen haben sie die Bandbreite von
Lauten zur Sprache und die Gestik zur darstellenden Kunst entwickelt. Ich
stelle mir ebenfalls vor, daß diese Systematisierung ein langandauernder,
mühsamer Weg gewesen ist und ohne die Austauschform von Angesicht zu Angesicht dies
nicht möglich gewesen wäre. Unterschiedliche Beobachtungen, Wahrnehmungen,
Deutungen und Meinungen wurden ausgetauscht, besprochen, überprüft,
angeglichen und vereinbart. Immer Einvernehmlich. Fortwährend. Gespeichert
wurde der vereinbarte Inhalt im Kopf.
Jeder
Austausch von Angesicht zu Angesicht, seien es Erfahrungen, seien es
Beobachtungen, seien es Meinungen, seien es Phantasien, seien es Berichte über
Geschehnisse, seien es Lügengeschichten, beeinflußt uns, verändert uns und wir
wachsen, in welche Richtung auch immer. Wir hören und sehen uns beim Austausch
unmittelbar. Ohne Vermittlung durch technische Hilfsmittel, bzw. Geräte. Wir beobachten
die Regungen im Gesicht und registrieren die Betonungen der Sprache. Wir sind
gegenseitig unmittelbar Fragen und Kommentaren zugänglich. Keine andere
Austauschform kann wirkungsvoller sicherstellen, daß der auszutauschende
Inhalt unmißverständlich und wahrheitsgetreu übermittelt werden kann. Die unterschiedlichen Laute und visuellen
Zeichen charakterisieren unterschiedliche Erfahrungszusammenhänge.
Einvernehmlich geregelt.
Auch zu
unserer Zeit im Alltag wird hauptsächlich diese Austauschform praktiziert. Ohne
dauerhafte Mißverständnisse. Deshalb können wir uns auch ohne wissenschaftliche
„Stützen“ verständigen. Wäre die Qualität dieser Austauschform nicht überragend
und überzeugend, würde es zur Ansammlung von Wissen gar nicht gekommen sein.
Zur Entwicklung von Wissen in vielen
Bereichen − zu Wissenschaften, zur Grammatik − ist noch ein langer Weg. Und
diese lange Reise braucht keine Schrift als Mittel für einen Außenspeicher.
Anders ausgedrückt: Die Entwicklung von Alphabet, Silbe, Wort, Sprache,
Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Grammatik setzt keine Schrift voraus. Schrift
ist ein Außenspeicher und ein Transportmittel.
Wann entsteht der Bedarf einer Schrift
als Speicher– und Transportmittel? Es durfte allseitig unbestritten sein, daß
der Kopf als Speicher für alle Arten von thematisch abgeschlossen Abhandlungen
lange gereicht hat. Mit der zunehmenden Menge tauchen irgendwann Fehler beim
Abrufen des im Kopf gespeicherten Wissens auf. Ein unregelmäßig regelmäßiges
Auftreten von Fehlern muß unsere Vorfahren veranlaßt haben, viele Wege zur
Sicherung des fehlerfreien Austausches zu gehen:
−
kollektive Übungen des fehlerfreien
Abrufens,
−
Konstruktion von Eselsbrücken,
−
Dichtung von lebensnahen Erzählungen
über unterschiedlichste Geschehnisse,
−
Verse über Ereignisse und Erkenntnisse
mit unterschiedlicher Metrik, Klänge, bis hin zu Markierungen außerhalb des
Kopfspeichers auf witterungsbeständigen Materialien und die Markierungen sind über Zeichnungen, graphische
Darstellungen, Symbole zu Schriftzeichen und zur Schrift geworden.
Die Vielfalt der überlieferten Außenspeicher
als Stütze des Kopfspeichers und die Entwicklung der „Phonetik“ in der Schrift
sind unmißverständliche Hinweise dafür, daß unsere Vorfahren Außenspeicher
immer als Ersatz für
den audiovisuell gestützten Kopfspeicher, als eine „zweite Wahl der Verläßlichkeit“ so zu sagen,
angesehen haben und immer schon über den Verlust des Klangs und der Gestik bei
der Nutzung von Außenspeichern besorgt gewesen sind. Mit der Erfindung der
Schrift als Mittel des Austausches gehen uns nicht nur die Höhen und Tiefen des
Klangs und die Regungen im Gesicht als Ausdruck beim Erzählen verloren, sondern
nimmt auch der Austausch von Angesicht zu Angesicht ab. So laufen wir immer
mehr Gefahr, uns mit der „zweiten Wahl der Verläßlichkeit“ oder mit Schlimmeren
zu begnügen.
Es ist
unbestritten, daß die Erfindung und Entwicklung von Schrift, die Entdeckung der
mobilen witterungsbeständigen Materialien bis hin zur leichten Vervielfältigung
der schriftlosen Bücher eine gewaltige Kulturtechnologischeleistung gewesen
sind. Die Schrift hat es möglich gemacht, daß das angesammelte Wissen – wenn
auch in einer mit Fehlern behafteten abgemagerten Form – außerhalb des
menschlichen Kopfs relativ leicht zugänglich gespeichert werden kann. Dadurch
wird die Begrenzung des Raums und der Zeit für den Austausch überbrückt. Die
Schrift als Mittel für den Außenspeicher, als eine mittelbare Ergänzung zum
unmittelbaren Austausch, kann unser Wissen bereichern. Ohne jeden Zweifel. Aber
nur als eine mittelbare Ergänzung. Ohne den Kopfspeicher und ohne den Austausch
von Angesicht zu Angesicht sind die Außenspeicher weniger wert.
*****
Nun zurück zu der Sprache namens
Sanskrit und zu ihrem Wanderweg nach Europa.
Alexander von Makedonien (3. Jahrhundert
v. Chr.) hat als erster europäischer „Haudegen“ den Boden Bharatavarsa
betreten. Die Hellenen haben mit Bharatavarsa schon Handel getrieben, noch vor
der allerersten „Offenbarung“ in der Menschheitsgeschichte. Alexander hätte
sich der Mühe nicht unterzogen, wenn ihm seinerzeit nichts über die reiche
Zivilisation und Kultur jenseits des Flusses namens Sindhu (griechisch Indos)
schon bekannt gewesen wäre. Kein „Haudegen“ plant Raubzüge ins Blaue oder in
Regionen hinein, wo nichts zu holen ist. Bekanntlich kommt Alexander nicht weit
in Indien hinein. Er erleidet empfindliche Rückschläge. Er muß den Rückzug
antreten. Er stirbt auch schon 32jährig. Die Hellenen haben der Nachwelt eine
ganze Menge Wissenswertes über Bharatavarsa überliefert, aber nichts über eine
Sprache namens Sanskrit.
Der heilige Thomas betritt diesen Boden
im 6. Jahrhundert, nicht als Haudegen, sondern als Asylsuchender. Mit Anhang.
Die Thomas−Christen gibt es immer noch im Süden, wo sie gelandet waren. Voll
integriert.
Der Portugiese Vasco da Gama ist der nächste europäische „Haudegen“, der
1498 den Boden Bharatavarsa auf dem Seeweg betritt. Er landet nicht in Goa, wie
landläufig geglaubt wird, sondern in Cochin. Ob der Strömungen und der Winde. Er
hat keine Handels- oder Tauschware mit, kein Geld zum Einkaufen, dafür aber
kräftige Männer, viel Waffen und römisch katholische Seelsorger. Fast zwei
Drittel der angeheuerten Haudegen haben auf der langen Segelhinfahrt daran
glauben müssen, reich nach Hause zu kommen.
Cochin und die Küste nach Süden ist
dicht besiedelt. Nicht so geeignet für Raubzüge. Also segelt Vasco da Gama der
Küste entlang nach Norden. Am einsamen südlichen Zipfel der Mormugao Bucht, in
die der Zuari Fluß mündet, setzt er sich fest. Zwischen diesem Ankerplatz und Cochin
liegen gut 800 km und zwischen diesem Ankerplatz Alt−Goa befindet sich viel
Wasser und etwa 45 km Landweg.
Vom Ankerplatz unternimmt
er kleinere Beutezüge. Lebensmittel müssen her. Er baut auf den
Überraschungseffekt. Nirgendwo hat er Schwierigkeiten. Die unerwartete
Brutalität überrascht. Sie verbreitet auch Angst. Die Eindringlinge errichten
Barrikaden. So beginnt die Besatzung, die heute verniedlichend Ausbau von
Stützpunkten genannt wird. Auch ein Beispiel der christlichen Morallehre. Er hat
keine Eile. Die Winde und die Strömungen lassen das Hin– und Zurücksegeln eh
nur im jährlichen Rhythmus zu. Für das Auskundschaften bleibt genug Zeit.
Vasco de Gama segelt mit einem schiffsvoll ausgeraubter Waren nach
Portugal zurück. Die übrigen Haudegen mit den Waffen und ihre Seelsorger bleiben,
rauben auf kleiner Flamme, kundschaften und warten auf Verstärkung. Fortan
segeln die Portugiesen im Verband mit mehreren Schiffen, mit möglichst vielen
Haudegen, Waffen und Seelsorger hin, dann zurück mit voller Beute. Nach
elfjähriger systematischer Vorbereitung nimmt der Haudegen Alfonso de Albuquerque dem Muslimherrscher Adil Adil
Shah seine Hauptstadt, die heute Alt Goa heißt, ab. Adil Adil Shah war der Sohn
jenes muslimischen Haudegens, Mahmud Gawan, der 1470 die einheimischen
Herrscher vertrieben hatte.
Der gefeierte angeblich große Entdecker
Vasco da Gama, „entdeckte“ davor Goa mindestens dreimal, der Haudegen Alfonso
de Albuquerque mindestens zweimal. Die Vernichtung der Muslimherrschaft war so
total, daß heute nicht einmal im archäologischen Museum von Alt Goa irgendeine
Reminiszenz der früheren Zeit zu finden ist, vom Stadtbild ganz zu schweigen.
Kirchen, Kathedralen und Basilika, alles reichlich mit Gold gestaltet, prägen
das Stadtbild. Bekanntlich fungierten die Portugiesen die längste Zeit als eine
Kolonialmacht, nämlich genau 450 Jahre.
Die
Historiker und die Indologen der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur haben
das Märchen vermarktet, daß Vasco da Gama der große Entdecker des Seeweges nach
Indien gewesen sein soll. Diese Behauptung ist nicht einmal die halbe Wahrheit.
Es gab schon regen interkontinentalen Handel auf Seewege, bevor Portugiesen und
andere Europäer gewußt haben, daß die Erde keineswegs eine Scheibe, sondern ein
Planet ist.
Mit
dieser Mär des großen Entdeckers wird verschleiert, daß dieser Söldner das Zeitalter des Raubs, des
Völkermords, der Besatzung, des Entrechten und der fortwährenden Ausbeutung auch in Bharatavarsa einläutet. Dieser Vorgang heißt dann
verniedlichend „Kolonialismus“, der den Kapitalismus erst möglich macht. Immer
mit Etikettenschwindel, dank den europäischen „Gelehrten“. Zu den Zeiten von
Vasco da Gama wurde in die Jagdgebiete das Christliche Kreuz gebracht und heute
die angebliche freiheitliche Demokratie, beides Feigenblätter für Raub, Mord,
Besatzung, Entrechtung und dauerhafte Ausbeutung fremder Gebiete.
*****
Im Jahre 1518 lassen sich Franziskaner
in Goa nieder. Kaum ist der Orden der Jesuiten 1540 gegründet, kommt 1542 schon
der jesuitische Missionar Francisco Xavier (1506–1552) nach Goa, 1548 kommen
die Dominikaner und 1572 die Augustiner. Andere christliche Orden kommen nach.
Die portugiesische Haudegen und
Missionare sind besessen von Raub und Konvertierung. Wenig ist dokumentiert
über sprachlichen Austausch. Einige holprige Glossar− und Grammatikbücher
lokaler Sprachen für den Eigengebrauch sind überliefert. Für viel mehr hat es
nicht gereicht, auch nicht für jenen adeligsten der römischen Adeligen, den Jesuitenpater
Roberto de Nobili, der an Dreistigkeit, List und Skrupellosigkeit dem William
Jones nicht nachstand. Auch er hat die hohe Kultur in Bharatavarsa gemerkt und sich
auf seine Weise bemüht diese zu kolonisieren. Bis zu der Sprache der reichen
alten Literatur Bharatavarsas gelangt er jedoch nicht.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, was der Florentiner Filippo Sassetti, der sich als
angestellter kaufmännischer Diener vieler am Ausbeutungsgewinn interessierter
europäischer Herren zwischen Goa und Cochin verdingte, am 27. Januar
1585 zu
Papier gebracht hat. Er ist insofern eine Ausnahmegestalt in der Galerie der
christlichen Ausbeuter, weil er weder ein „Haudegen“, noch ein Missionar gewesen
ist. Eigentlich ist er ein angesehener Gelehrter und Philosoph in Florenz, den
Medici nahestehend. Aus familiären Gründen muß er Geld verdienen.
„Mir
scheint es, daß wir sagen können, es sei eine Krankheit dieses Jahrhunderts,
daß in allen Teilen der Welt die Wissenschaften in einer Sprache sind, die sich
von jener unterscheidet, die gesprochen wird; von welcher Krankheit auch alle
diese Leute betroffen sind, denn ihre Sprache unterscheidet sich so sehr von
jener, in der ihre Wissenschaft ist, daß sie eine Zeit von 6 Jahren brauchen,
um sie zu erlernen; denn sie tun es nicht wie die Juden, die ihre Kinder die
Sprache der Gesetze lehren, wie bei uns den Papageien das Sprechen beigebracht
wird; aber diese hier haben die Grammatik, und bedienen sich ihrer. Die Sprache
an sich ist angenehm und wohlklingend, wegen der vielen Laute, die sie haben,
bis 53, von denen alle begründet sind, denn sie lassen sie alle aus den verschiedenen
Bewegungen des Mundes und der Zunge entstehen. Sie übersetzen leicht alle
unsere Begriffe in ihre Sprache, und schätzen, daß wir nicht dasselbe mit ihren
in die unsere tun können, weil die Hälfte der Laute, oder mehr, fehlt. Es ist
wahr, daß man viel Schwierigkeit hat, ihre Wörter mit ihren Lauten und Akzenten
(die das sind, was sie sagen wollen) auszusprechen; und ich schätze, daß die
Ursache zum großen Teil das unterschiedliche Temperament der Zunge ist, da sie
zu jeder Zeit jene so hervorragenden Kräuterblätter essen, die sie Betel
nennen, die in hohem Maße adstringierend und trocknend sind, mit jener Frucht,
die sie ‚Areca‘ nennen und die in alten Zeiten avellana indica genannt wurde, das Ganze mit Kreide
vermischt, mit der Folge, daß, im Gegenteil zu uns, ihre Zunge und Mund trocken
und schnell sind.“
Filippo
Sassetti wird aber für die große Welt erst um die Mitte des 19.
Jahrhunderts „entdeckt“ und als der Vorläufer der „vergleichenden
Sprachwissenschaften“ gefeiert. Ihm wird fälschlicherweise zugeschrieben, er
hätte in seinen „Briefen aus Indien“ über seine Entdeckung der Ähnlichkeit
zwischen Sanskrit einerseits und Griechisch und Latein anderseits berichtet. Er
hat nie dergleichen geschrieben. Er landet in Goa im Herbst 1583 und stirbt im
Herbst 1588. Er hat insgesamt 32 Briefe aus Indien geschrieben.
Ein
Ordensbruder von Roberto de Nobili entdeckt als erster Sanskrit als Sanskrit.
Heinrich Roth. Er wird 1620 als Sohn eines Augsburger Rechtsanwaltes in Dillingen
geboren. Nach seiner Schulzeit wird er Legionär in der Schwedischen Armee,
flieht später aus der Armee nach Innsbruck, wird dort von einem Soldaten fast
zu Tode geschlagen, bei Genesung will er Missionar werden. Am 25. Oktober 1639
tritt er − fast 19jährig − in den Jesuiten−Orden ein und erhält zehn Jahre
später die Priesterweihe. Ein Jahr später, 1650, wird er in Begleitung eines
weiteren Missionars für die Missionsarbeit nach Äthiopien beordert. Sie segeln
von Livorno in Italien aus nach Smyrna in der Türkei, von dort erreichen sie
auf dem Landweg Isfahan, die Hauptstadt von Persien. Erst dort erfahren sie,
daß Äthiopien für katholische Missionare die Grenzen dicht gemacht hat. Was
tun? Sie entschließen sich, nach Goa weiter zu reisen.
Tatsächlich
erreichen sie den Jesuiten−Stützpunkt in Goa 1652, also 48 Jahre später als
Roberto de Nobili. Biographien wie die von Heinrich Roth sind nicht nur für
Jesuiten typisch. Sie offenbaren den schmalen Grat zwischen Söldner und
Missionar, Abenteurer und Kundschafter, Glücksritter und Besessener.
In Goa soll Heinrich Roth bald die Sprachen
Kannada, Persisch, Urdu und einige andere erlernt haben. Wie, wissen wir nicht.
Wir können vieles nicht nachvollziehen, was uns als Geschehenes in gedruckter
Form überliefert wird. Heinrich Roth wird von Goa nach Agra versetzt. Agra ist
die Hauptstadt der Mogulherrscher in Norden. Er übernimmt die Leitung des
dortigen Jesuiten−Kollegs. Dort lernt er sechs Jahre lang Sanskrit. Er begreift
die Bedeutung von Sanskrit für die Mission und verfaßt ein Grammatikbuch um
1660 herum mit lateinischen Erläuterungen. So wird uns erzählt.
Veröffentlicht
wird sie aber mit zwei anderen Manuskripten als Faksimile 1988 in Leiden. Die Indologen von heute bestätigen, daß die
Grammatik von Heinrich Roth im Vergleich zu allen anderen die beste gewesen
ist. Es ist ja auch kein Wunder. Denn Roth hat aus der allzeit perfekten
Grammatiksystematik von Panini abgeschrieben.
Der
Transport von Sanskrit nach Europa hat also auf der Grundlage unzureichender
Grammatik stattgefunden. Wir haben nach indologischen Würdigungen dieses
Tatbestandes gesucht. Vergeblich. Es ist für die Indologen ein Nichtthema.
*****
Fest
steht, daß auf der katholischen Schiene keiner einen Wanderweg für die Sprache
namens Sanskrit angelegt hat. Also wieder zurück zur East India Company, zurück
zu Kalkutta. Die Briten setzen in den besetzten Gebieten mehr auf Menschenkauf
als auf Christianisierung. Auf allen Ebenen kaufen sie Leute ein, geleitet von
dem Prinzip: Teilen und Herrschen. Die oberen Chargen der Kolonisatoren kaufen
noch zusätzlich Brahmanen als persönliche Berater ein, die sogenannte
„Pandits“. Pandit heißt übersetzt Gelehrter.
Ob die
angeheuerten „Pandits“ der East India Company Gelehrte gewesen sind, lasse ich
hier unkommentiert. Ich frage mich und auch Sie, wie soll der sprachliche
Austausch über anspruchsvolle Themen zwischen dieser „Pandits“ und den
kolonialen Haudegen von statten gegangen sein? Übrigens ist kein einziger Fall
dokumentiert, daß ein Gelehrter sich je als „Pandit“ hat in die Gehaltliste der
East India Company aufnehmen lassen.
Als Sir
William im Herbst 1783 in Kalkutta landet, weiß er von der Existenz einer
Sprache namens Sanskrit nichts. Umtriebig orientiert er sich in Kalkutta und
verschafft Achtung in der „ehrenwerten Kolonialgesellschaft“ als eben jener
„Oriental Jones“. Er findet zwei company−eigene Druckzentren vor, geleitet von
einem Charles Wilkins, dem gute Kenntnisse
der lokalen Sprachen und breite Kontakte außerhalb der Company nachgesagt
werden. Seit 1770 ist er in Kalkutta. Nach einer Krankheit erholt er sich gerade
in Varanasi (nach kolonialer Duftmarke heißt die Stadt Benaras), wo er die Zeit
genutzt haben wollte, an der dortigen Universität Sanskrit zu lernen. Der windige
„Oriental
Jones“ plant seine Mission, gestützt auf die
Einrichtung von „Pandits“, die Druckzentren und auf den 34jährigen Charles
Wilkins.
Am 15. Januar 1784 trommelt er die
„ehrenwerten kolonialen Paten“ in Kalkutta zusammen, 13 an der Zahl, gründet
eine Gelehrtengesellschaft (ohne Gelehrte) namens „Asiatick Society of Bengal“
und bietet dem Chef, dem Generalgouverneur Warren Hastings, der in England nicht
einmal einen Schulabschluß geschafft hatte, den Vorsitz dieser
„Gelehrtengesellschaft“ an.
Warren Hastings lehnt das
Angebot dankend ab. Aus guten Gründen. Als Vorsitzender kann er „The Asiatick Society of Bengal“ als eine
Kulturleistung seiner Verwaltung nicht so gut vermarkten wie als der Förderer
im Hintergrund. Also übernimmt Sir William den Vorsitz. Sehr gern. Von nun an
unterstützt er die knallharte „konservative“ Kolonialpolitik Warren Hastings
lautstark. Ganz nebenbei etabliert er sich informell als die zweitwichtigste
Persönlichkeit im Kolonialregime in Kalkutta. Es stört ihn wenig, daß zu Hause
die Whigs unter Führung seines Gönners und Freundes Edmund Burke die Politik
Warren Hastings‘ kompromißlos bekämpfen.
Die „Asiatick Society of Bengal“ wird als
die erste Fabrik für Geschichtsfälschung und für Gehirnwäsche ausgebaut. Auch
der erste Ministerpräsident des „unabhängigen“ Indiens, Jawaharlal Nehru, wird
von der Gehirnwäsche betroffen. Ich habe in dem Buch „Lügen mit langen Beinen“
darüber berichtet.
Zu „The Asiatick Society of Bengal“ haben Asiaten oder Bengalen keinen Zutritt. Warum auch? Sie
sollten ja nur die „Geschichte“ und die „Geschichten“ der neuen Herrscher
beherzigen und propagieren, wenn sie für sich Wohlstand im Leben anstrebten.
Und was sollen Asiaten oder Bengalen dort zu suchen haben, wenn selbst der Gründer
dieser Fabrik, der „Oriental Jones“, ihnen nicht einmal sprachlich folgen kann?
Die „Asiatick Society of Bengal“ sät die Saat, die folgerichtig zum globalen
Joch des industriellen Komplex Medien–Manipulation–Macht geführt hat.
Sir William legt auch den Grundstein
für die Kolonisierung und Christianisierung der Kultur in Bharatavarsa. Ohne eine Silbe jener Sprache namens
Sanskrit zu kennen, kürt er Charles Wilkins, der dank seines 14jähriges
Aufenthaltes in Kalkutta über lokale Kenntnisse einschließlich der dort
gesprochenen Sprachen verfügt, schon 1784 zum größten „Sanskritgelehrten“, um
sich als zweitgrößten „Sanskritgelehrten“ zu positionieren. Diese Auslobung
gilt heute noch.
Wer dieser Charles Wilkins ist? Über
ihn sind nicht so viele Dokumente überliefert wie über Robert Clive, Warren
Hastings oder William Jones. Aber genug, um das systematische der Perfidie zu
begreifen. Für den untersten Dienst in der Kolonie lassen sich in der Regel nur
solche junge Leute anheuern, die zu Haus weder Schule noch eine praktische
Ausbildung geschafft haben. Sie sind noch „teens“. Charles Wilkins wäre − wie die
meisten der East India Company − nie aufgefallen, wenn er nicht in Kalkutta
eher zufällig sein verborgenes Talent als Tüftler entdeckt hätte.
Es ist die Zeit der Konsolidierung der
eroberten Macht der East India Company in Bengalen, nach der Schlacht von
Palashy in 1757. Ihr Chef in Kalkutta – der vom „Haudegen“ zum
„Generalgouverneur“ aufgestiegene Warren Hastings – will die Effizienz der
Angestellten der Company durch das Erlernen der dort gesprochenen Sprachen
erhöhen. Also Textbücher in der einheimischen Sprache müssen her. Setzer und
Drucker lassen sich nicht so leicht in England für den unwirtlichen kolonialen
Dienst anheuern. Dies ist die Stunde des Charles Wilkins. Er übt sich ein,
bengalische Lettern in Brei zu gießen. So avanciert er bald zum Leiter zweier
Druckzentren.
Er soll angeblich als erster die „Bhagavatgita“
ins Englische übersetzt haben. Das
angebliche Schnuppern von Sanskrit in der Universität Varanasi soll ihn dazu
befähigt haben. Bhagavatgita ist eine der zentralen Episoden im Mahabharata. Das
Original ist nicht in der vedischen Sprache, sondern in Sanskrit. Übersetzungen
liegen in allen gesprochenen Sprachen in British Indien vor, auch in Arabisch
und Persisch, auch in Kalkutta. Was soll dann gegen eine englische Version
sprechen? Eigentlich nichts, wenn nicht damit die Kenntnis der Originalsprache beansprucht werden würde.
Sir William hat von sich behauptet 32 Sprachen
zu können. Er selbst hat diese 32 nicht zusammen aufzählen können. Seine
„Gelehrtennachfahren“ auch nicht. Er hat die sogenannte Übersetzung Bhagavatgitas
von Charles Wilkins gefördert. Sie ist mit einem hochlobenden Vorwort Warren
Hastings geschmückt, von Charles Wilkins in Kalkutta gedruckt und von der East
India Company in England vertrieben. Wir haben es nicht geschafft, eine Kopie
dieser Übersetzung aufzutreiben. Wir können nichts über die Rolle der „Pandits“
bei dieser Veröffentlichung sagen.
Diese Übersetzungskultur beherrscht den
Markt heute noch. Die Bhagavatgita ist bis heute mehrere hundert Mal von
„Gelehrten“ der blond–blauäugig–weiß–christlichen
Kultur übersetzt worden. Immer vom Original,
selbstverständlich.
Der zweitgrößte Sanskrit Gelehrte hat
von Beginn an Charles Wilkins bekniet, mit Hilfe der „Pandits“ doch für ihn ein
Wörterbuch zusammenzustellen. Charles Wilkins gelingt dies nicht in Kalkutta.
Dann segelt er 1786 krankheitsbedingt zurück nach England. Er lebt lange. Ohne
die „Pandits“ ist er hilflos. Statt des von Sir William ersehnten Wörterbuchs
hat er 1787 eine Übersetzung eines Lesebuches vorgelegt. Es hat aber
Übersetzungen dieser Fabelgeschichten auf Englisch und Französisch aus dem
Persischen unter dem Titel „Fables of Pilpay“ schon vorgelegen. Wir wissen
nicht, ob Charles Wilkins auch eine bengalische Fassung dieses Werks im Gepäck
hatte. Trotz eines regen Marktes für Übersetzungen aus der Sanskritliteratur
gelingt es ihm nicht, weitere Übersetzungen vorzulegen.
*****
1795 – Sir William ist bereits
gestorben − veröffentlicht Charles Wilkins noch die Geschichte von „Dooshwanta
und Sakoontala, übersetzt aus dem Mahabharata, eine Dichtung in Sanskrit,
London, 1795“. Uns entgeht nicht, daß uns nicht mitgeteilt wird, in welcher Sprache
Charles Wilkins der „Mahabharata“ vorgelegen hat.
Es entsteht wieder eine Lücke in seiner
Biographie bis Charles Wilkins 1801 von der East India Company in ihrem neu
errichteten Museum in London als Bibliothekar angestellt wird. Dann hat er um
1808 herum eine Sanskritgrammatik herausgegeben. Er hat nie eine Sprache namens
Sanskrit unterrichtet.
*****
Sir William ist emsig auch ohne ein
Wörterbuch, ohne ein Grammatikbuch. Er gibt laufend interessante Geschichten unter
dem Titel „Asiatik Researches“ heraus. Er kann alles in Kalkutta drucken lassen
und via London in ganz Europa vertreiben. Die East India Company trägt die
Kosten. Willig. Ihr nützen diese Publikationen. Sie verdecken effektvoll, daß Christen in den Kolonien vorsätzlich und fortwährend die „Zehn Gebote“ der Christen mit Füßen treten. Sind
diese eigentlich nicht Verbote?
Sir William verlängert seinen Vertrag
in Kalkutta um weitere fünf Jahre. Aus gesundheitlichen Gründen hat er seine
Frau Lady Anna Maria bereits 1788 nach England zurück segeln lassen. Seine Gier
nach Macht, Ruhm und Reichtum war größer als ein Wiedersehen mit seiner Frau. 1794
in Kalkutta scheidet Sir William aus dem Leben, aber seine Fabriken und Fabrikationen
leben weiter.
*****
Doch hat keiner im Dunstkreis der East
India Company Sanskrit gelernt und in Europa Sanskrit unterrichtet. Aber das
Interesse für Sanskrit in Europa wächst rasant. Wie so? Eine psychosoziale
Analyse dieser Frage und der europäischen Gelehrten wäre sicherlich brisant.
Das 19. Jahrhundert bringt viele
Sanskritgelehrte hervor. Auffällig ist, daß nur die neuen Sanskritgelehrten die
eigentlichen Sanskritgelehrten sein wollen. Und diese neuen Sanskritgelehrten wachsen
wie Pilze, wie die Dokumente belegen. Allesamt Europäer, vor allem aber Deutsche,
obwohl der Humus eher in Paris und London vorzufinden ist. Warum? Weil in den
dortigen Museen jene wahllos beraubte Manuskripte und Bücher der alten
Literatur lagern. Und deutsche Intelektuellen wollen beim Kolonialismusgewinn
nicht ganz leer ausgehen.
Diese neuen
Sanskritgelehrten lernen die Sprache auf sonderbare Weise. Alexander Hamilton,
Antoine Léonard de Chézy, Franz Bopp und August Wilhelm von Schlegel sind
Pioniere. Aber die erste Buchveröffentlichung macht der Jüngere der
Schlegelbrüder, Friedrich von Schlegel (1772–1829): Ueber die Sprache und Weisheit der Indier. Ein Beitrag zur Begründung
der Altertumskunde, Heidelberg 1808. Die allererste Veröffentlichung in
deutscher Sprache dieses Genres. Für die Orientschwärmer soll das wie ‚ein
neues Evangelium‘ gewesen sein.
Wie das Leben so spielt. 1803 leben
Dorothea und Friedrich von Schlegel in Paris. 31jährig will Friedrich orientalische
Sprachen lernen. Wie? Er sagt uns: „...weil
die reichste Sammlung von Werken in orientalischen Sprachen ist dort
aufbewahrt.“ Was die Sammlung von Werken mit dem Lernen orientalischer
Sprachen zu tun hat? Es geht so: Man nehme sich eine übersetzte Version und die
Originalversion eines Werkes vor. Diese übersetzte Version kann auch eine
mehrfach übersetzte Version sein. Sanskrit, Persisch, Arabisch, Französisch
usw., usw. So ist der Inhalt des Originals in etwa bekannt. Natürlich so weit,
wie die jeweiligen Übersetzer ihn erfaßt haben. Dann beginnt das Rate− und
Phantasiespiel.
„Die Schlegels“ haben wenig Geld. Sie
mieten eine große preiswerte Etagenwohnung. Sie möblieren die Zimmer für die
Untervermietung. Am 15. Januar 1803 schreibt Friedrich seinem Bruder August: „Die Sprachlehre des gewöhnlichen Indischen (Welche? Wie soll er sie kennen?) habe ich gleichfalls
schon (wie?); aber das Sanskrit werde ich erst im
Frühjahr anfangen können. Denn es wird auf den Bibliotheken nicht eingeheitzt.“ Ist das nicht interessant?
Am 15. Mai 1803 berichtet er seinem
Bruder über eine glückliche Fügung: „Sonst
ist mirs aber vortrefflich ergangen. Denn vieles, vieles habe ich erlernt.
Nicht nur im Persischen Fortschritte gemacht, sondern endlich ist auch das
grosse Ziel erreicht, das ich des Sanskrits gewiß bin. Ich werde binnen vier
Monaten die Sakontala in der Urschrift lesen können, wenn ich gleich alsdann
die Übersetzung wohl auch noch brauchen werde. Ungeheure Anstrengung hat es
erfordert, da eine große Complikation und eine eigne Methode des Divinirens und
der Mühe; da ich die Elemente ohne Elementar–Bücher erlernen musste. Zuletzt
ist mir noch zu statten gekommen, dass ein Engländer Hamilton, der einzige in
Europa ausser Wilkins der es weiß, und zwar sehr gründlich weiß, mir mit Rath
wenigstens zu Hülfe kam.“ Besser wäre unsere Beschreibung dieser
abenteuerlichen Methode des Fremdsprachenlernens nie geworden.
Schon am 14. August 1803 läßt Friedrich
von Schlegel seinen Bruder August wissen: „Ich
habe unausgesetzt im Sanskrit gearbeitet, und nun schon einen recht festen
Grund gewonnen. Ich habe nun wenigstens schon eine Hand hoch Manuscript was ich
mir copirt, liegen. Jetzt bin ich bei dem 2ten Lexikon was ich mir copire. 3–4
Stunden Tags Sanskrit geschrieben, und noch 1 oder 2 Stunden es mit Hamilton
wieder durchgearbeitet; und wenn ich Abends aufgelegt war, fand ich immer auch
noch Arbeit von 2–3 Stunden genug.“ Er
kopiert also handschriftlich aus den Sanskrittexten und geht sie mit Hamilton
durch, der anscheinend die Buchstaben besser beherrscht.
Wo und
wann Alexander Hamilton Sanskrit lernt, ist nicht bekannt. Bekannt ist, daß er
im 4. Quartal 1784 in Kalkutta ankommt, bis 1790 in der Infanterie als
Offiziersanwärter der niedrigsten Kategorie seinen Dienst verrichtet, und als
Fähnrich vom Dienst verabschiedet. Er hat keinen Kontakt zu Sir William oder zu
Charles Wilkins gehabt. Als ein schlichter Infanterist in Kalkutta hat er keine
Möglichkeit sich einen „Pandit“ zuzulegen. Und es gibt auch keinerlei spätere
Hinweise, daß irgendwann ein Alexander Hamilton in Kalkutta irgendjemandem
aufgefallen war. Vom Sanskrit bewegten Orientalisten ganz zu schweigen.
Belegt
ist auch, daß er sich zwei bis drei Jahre in Paris aufgehalten hat und einen
Katalog der noch ungeordneten Bücher und Manuskripte auf Bengali und Sanskrit
zusammengestellt hat, der dann unter seinem und dem Namen des französischen
„Orientalisten“ ohne indische Sprachkenntnisse, Louis-Mathieu Langlès, 1807
gedruckt wird. Belegt ist ferner, daß er 44jährig 1806 im neugegründeten East
India College in Hartford, England, für die Ausbildung von Nachwuchs für die
East India Company mit dem Unterricht der orientalischen Sprachen betraut
worden ist. 1814 veröffentlicht er „Terms of Sanskrit Grammar“, die einzige
Veröffentlichung neben dem Katalog in Paris, die seinen Namen trägt. 1818
verläßt er auf eigenen Wunsch 56jährig das East India College. 1824 scheidet er
fast unbemerkt aus dem Leben. Eigentlich eine tragische Biographie.
Wir haben
nun abzuschätzen, von welcher Qualität sein Sanskrit in Paris gewesen sein muß,
wann und wo er sein Sanskrit gelernt haben kann, und von welcher Qualität das
„europäische Sanskrit“ vor seiner europäischen Standardisierung durch das erste
Wörterbuch 1919 gewesen ist.
Antoine
Léonard de Chézy arbeitet in der ägyptischen
Abteilung des königlichen Museums in Paris. Die Verwalter der Beutekunst dürfen
„Studienreisen“ nach Ägypten machen. Als 1803 eine solche Reise fällig ist,
wird Antoine Léonard de Chézy krank. Aber zum Glück ist der betriebsame
Louis-Mathieu Langlès da, die Nachrichtenbörse der ‚Orientbewegten’ in Paris.
So erfährt Antoine Léonard de Chézy von der jungen deutschen Helmine von
Hastfer – die befreundet ist mit Dorothea und Friedrich von Schlegel –, daß
Friedrich von Schlegel von einem in Paris internierten Engländer, von Alexander
Hamilton, Sanskrit lernt.
Es ist
belegt, daß Alexander Hamilton und Antoine Léonard de Chézy sich häufig
begegnet sind. Fest steht auch, daß Antoine Léonard de Chézy vor dieser
Begegnung an Sanskrit nicht interessiert war bzw. wenig darüber gewußt hat. Er
ist ja auch „Ägyptologe“. Nachdem seine Neugier geweckt ist, lernt er Sanskrit „insgeheim“ und „autodidaktisch“ und zwar nachdem Alexander Hamilton Frankreich
wieder verlassen hatte. Ich kann beim besten Willen nicht nachvollziehen, wie
ein Franzose in Paris ohne Lehrer, ohne Grammatik– und Wörterbücher eine
Sprache wie Sanskrit lernen kann. „Moderne Historiker“ und Indologen haben
bislang keine Schwierigkeit, mit der Version „insgeheim“ und „autodidaktisch“
klar zu kommen.
*****
Das Leben ist halt
auch damals unwägbar, voller Überraschungen, auch für späte „Genies“
menschlich, ja zuweilen allzu menschlich gewesen. Die 29järrige Helmine von
Hastfer (1783–1856) begegnet 1812 Franz Bopp als Helmine de Chézy. Franz Bopp wird später die Deutsche Indologie begründen. Er ist am 14. September 1791 in Mainz geboren, in
Aschaffenburg großgeworden. Sein akademischer Lehrer Carl Joseph Hieronymus
Windischmann, Professor der Philosophie und Geschichte, ermuntert ihn und
seinen eigenen Sohn zum Studium der „Sprachwissenschaft“, was das auch sein
mag. Franz
Bopp ist 1812 in seinem 21sten. Ihm ist klar geworden, daß Aschaffenburg ihm
keine Zukunft bietet.
Die rastlose und
orientbewegte Helmine heißt eigentlich Wilhelmine von Klenke. Vater Offizier,
Mutter Dichterin. Sie lassen sich früh scheiden. Wilhelmine wächst ‚unter ungeregelten Verhältnissen‘, was
das auch sein mag, auf. 16jährig heiratet sie 1799 Gustav Freiherr von Hastfer,
nach einem Jahr ist sie geschieden. Die Gräfin de Genlis lädt sie 1801 nach
Paris ein. Von 1803 bis 1807 gibt sie die Zeitschrift „Französische Miscellen“
heraus. 1805 heiratet sie 22jährig Antoine Léonard de Chézy, einen in Paris
bekannter Orientalisten, der seit 1807 Persisch unterrichtet und später, 1816
als 33jähriger der erste Sanskritprofessor am Collège de France werden wird.
1810 trennt sie sich von Antoine Léonard de Chézy, behält seinen Namen,
stolpert von einer Beziehung zur anderen, arbeitet journalistisch und führt das
Leben einer „Emanze“ ihrer Zeit. Auch sie ist eine fleißige Briefschreiberin.
Sie wird uns ab 1840 als Berichterstatterin ihrer Zeit und als Verfasserin
ihrer Autobiographie erhalten bleiben. Sie empfiehlt dem jungen Franz Bopp nach
Paris zu reisen, denn ihr geschiedener Mann, Antoine Léonard de Chézy,
beherrsche Sanskrit.
Das Paris von 1812
ist attraktiv für die „Orientbewegten“. Die französischen Kolonisatoren und
Missionare haben fleißig Manuskripte, Bücher und Kunstgegenstände in den
Kolonien gesammelt, ohne sie lesen und verstehen zu können. Eigentlich nur
erbeutet. Diese Beutegegenstände landen letztendlich in der „königlichen
Bibliothek“ oder in dem „königlichen Museum“. Sie werden schlecht oder recht
katalogisiert. Aus Ägypten hat Frankreich mehr Kulturgüter weggeschleppt als
aus Indien. Eine solche Sammlung von Manuskripten in einer Bibliothek bildet
immer einen Kristallisationspunkt für Interessierte aller Art.
Am 1.
Januar 1813 hat Franz Bopp aus Paris seinen 1. Brief an seinen ‚verehrungswürdigsten Freund‘, Professor
Windischmann, geschrieben: „...Ich habe
mich seit dem ich hier bin einzig mit dem Arabischen beschäftigt, weil man mir
gerathen, mir in demselben einige Fertigkeit zu erwerben, eh‘ ich zu anderen
orientalischen Sprachen schreite. Habe ich in dem Arabischen mir einige
Fertigkeit erworben und fange mit dem Persischen an, so hoffe ich nach 14 Tagen
einen leichten Prosaiker in dieser Sprache lesen zu können; ... Nur die
indischen Sprachen werden hier nicht gelesen, und Niemand studiert sie. Ich
werde den Sommer der einzige seyn, der sich damit beschäftigt. Ich denke nämlich
den Sommer das Persische und Sanskrit zugleich anzufangen. ... Bald hoffe ich
Ihnen manche Blüthe persischer und indischer Dichter in Übersetzungen
mittheilen zu können, wenn mir nur mein Schicksal so günstig ist, mich lange
genug in Paris zu lassen. Chézy wird mir, wenn ich das Sanskrit anfange, gute
Dienste leisten können. Er ist der Einzige, wie ich höre, der diese Sprache
hier betreibt.“
Franz
Bopp ist aus ähnlichem Holz geschnitzt wie William Jones. Er beginnt nicht
gleich mit dem Sanskrit. Daß ihm geraten wird, erst Arabisch zu lernen,
offenbart uns eigentlich die Unkenntnis in Paris noch 1812 darüber, daß
Arabisch und Sanskrit miteinander nichts zu tun haben.
Sein
nächster Brief an seinen akademischen Lehrer ist datiert vom 29. April 1814: „Ich habe die ersten Schwierigkeiten der
Sprache der indischen Weißheit besiegt. Ich sehe nun zu meinem Entzücken ein,
daß ich im Stande bin der schönsten, wichtigsten, wohl auch einer der
schwersten Sprachen des Orients ohne alle fremde Hülfe vollkommen mächtig zu werden.
... Ich finde die Ähnlichkeit des Sanskrits mit dem lateinischen und
griechischen sehr groß. Sie ließe sich weiter durchführen als Schlegel (Friedrich
von) gethan hat.“
Bevor
er Sanskrit kann, weiß er schon: „Die
deutsche Sprache ist so sehr dazu geeignet, das indische Original treu wiederzugeben.
Und ich will mein möglichstes dazu beitragen, das es (Ramayana) in deutscher Sprache geleßen werde. Den
ersten, ins englische übersetzten Theil, bin ich itzt schon fähig zu
übersetzen. Der 2te Theil soll auch bald erscheinen. ...Ohne eine Übersetzung,
sollte es auch eine ganz freie sein, kann ich itzt noch kein indisches
Manuskript übersetzen, auch Chézy kaum, der sich doch 6 Jahre länger damit
beschäftigt.“ Wir notieren das Datum 27. Juli 1814.
1812
kommt Franz Bopp nach Paris, um von Antoine Léonard de Chézy Sanskrit zu
lernen. Bis März 1814 lernt er nur Arabisch. Im Juli hat er seinem akademischen
Lehrer berichtet, daß er Sanskrit nicht von Antoine Léonard de Chézy lernen
kann. Wieso nicht? Weil Antoine Léonard de Chézy angeblich eben Sanskrit nicht
kann. Außerdem braucht Franz Bopp keinen Sanskritlehrer. Denn: „Doch denke ich,... wenn ich alles was über
indische Mythologie in europäischen Sprachen geschrieben, recht durchdrungen,
und wenn ich dann selbst weiter gehen und aus den Quellen schöpfen kann, wenn
ich mich mit den philosophischen Systemen Indiens vertraut gemacht habe, sowie
auch mit denen unseres Vaterlandes und der Griechen, dann lieber Freund werde
ich vorbereitet sein, indische Werke ohne Uebersetzung verstehen zu können, und
auch wenn es seyn muß auch ohne Wörterbuch.“
Angeblich beherrscht er die Sanskritbuchstaben
und deren Laute so gut, daß er sich schon Gedanken darüber macht, diese auf seine Weise im Besitz zu nehmen.
Wie soll er zur Beherrschung der Laute gekommen sein? Wer will es wissen? Sein
weiteres Vorgehen hat er seinem akademischen Lehrer Windischmann am 27. Juli
1814 so erläutert: „...ich habe mir ein
Alphabet ausgedacht, womit man Sanskrit–Buchstabensystem rein wiedergeben kann,...
Ehe ich die Grammatik schreibe, werde ich wohl thun, erst mein Buchstabensystem
bekannt zu machen, und hierzu will ich den Bhagawat–gita, den Sie aus einigen
der schönsten Stellen von Schlegel (Friedrich von) übersetzt, kennen, mit dem Text und einer ganz wörtlichen lateinischen
Uebersetzung herausgeben, und mein Bruder wird vielleicht einige Seiten in
Dewanagari–Buchstaben stechen...“.
Er begründet auch sein Vorhaben. Wir
lesen im gleichen Schreiben vom 27. Juli 1814: „Was in Calcutta im Originaltext gedruckt wird, kommt so theuer, daß
kaum ein Einzelner, der nicht sehr reich, ohne große Aufopferung sich mehrere
Bände anschaffen kann. Der 1ste Band des Ramayana kostet hier 160 Frank, die
Grammatik von Carey 280 Frank etc.“ Er macht sich über den „Preis“
Gedanken. Er will vielen Deutschen die Originaltexte so billig wie möglich
verfügbar machen. Und in diesem missionarischen Eifer will er sich Sanskrit auf
seine persönliche Weise zum „Eigentum“ machen.
Er fühlt sich nicht nur dazu in der
Lage, er begründet sogar seine Berechtigung, auch am 27. Juli. Aber durch
erfundene Fakten: „Man schreibt das
Sanskrit auf mehr als 10erley Weiße. Kurz, jede verschiedene Nation in Indien
hat ihr Buchstabensystem dem Dewanagari oder dem eigentlichen Sanskrit–Buchstabensystem
angepaßt, und schreibt das Sanskrit darin. Warum sollen wir Europäer, deren
Sprachen doch auch von dem Sanskrit herkommen, nicht auch unser Alphabet jenem
anpassen, um der Indier kostbareren Schriften um so mehr zu verbreiten?“
Ja, warum sollen die Europäer nicht
ihre eigenen „Sanskritschriften“ erfinden? Franz Bopp hat immer wieder betont, daß er
Sanskrit ohne fremde Hilfe gelernt hat. Ich könnte und möchte ihm zu Gute
halten, daß er dies nur auf Personen bezogen hat. Denn damals in Paris sind beispielsweise
die folgenden „Grammatiken“ verfügbar: des Missionars William Carey A grammar of the Sungscrit language
(Eine Grammatik der Sungscritsprache), 1804; von Henry Thomas Colebrooke A grammar of the Sanscrit language, 1805; von Charles Wilkins A grammar of the Sanskrita language, 1808; und des „senior Merchant on the Bengal establishment“ H. P.
Forster An essay on the principles of
Sanskrit grammar. Part I (Eine Abhandlung der Regeln der Sanskritgrammatik,
Teil I), 1810. Ihre Qualität? Eigentlich selbstredend! Es sind halt die ersten
Versuche zweifelhafter intellektueller Fähigkeiten. Die schnell auf einander
folgenden Erscheinungsjahre zeugen nicht nur von Hast.
1816 legt Franz Bopp in Frankfurt das
Buch vor: Über das Konjugationssystem der
Sanskritsprache in Vergleichung mit jenen der griechischen, lateinischen,
persischen und germanischen Sprache. Nebst Episoden des Ramayan und Mahabharat
in genauen metrischen Übersetzungen aus dem Originaltext und einigen
Abschnitten aus den Vedas. Herausgegeben und mit einer Vorerinnerung
begleitet von K. J. Windischmann. Wie hat Franz Bopp all dies zwischen 1812 und
1816 in Erfahrung gebracht? Und was hat gestimmt und was nicht? Wer konnte
wollte das überprüfen?
Das von Sir William 1784 so
ersehnte Sanskrit−Englisch−Wörterbuch kommt schließlich unter der Leitung von
Horace Hayman Wilson (1786–1860) erst 1819 in Kalkutta heraus. Viele „Pandits“
sollen die ganze Arbeit gemacht haben. In welcher Sprache die vielen „Pandits“
mit den Mitgliedern der ehrenwerten kolonialen Gesellschaft kommuniziert haben
und wie die Qualität des Austausches gewesen ist, ist nicht überliefert. Auch
nicht über die wahre intellektuelle Qualität dieser „Pandits“. Fest steht nur,
daß sie etwas geliefert haben, was gar
nicht geht. Nämlich ein Sanskrit−Englisch−Wörterbuch. Die East India
Company hat das Ganze finanziert.
August Wilhelm von Schlegel
(1767–1835), der ältere der Brüder Schlegel, ist auch etwa zur gleichen Zeit wie
Franz Bopp nach Paris gekommen. Dort wird er von Franz Bopp in das Studium von
Sanskrit eingeführt. 1818 wird er 51jährig Professor für Sanskrit in Bonn. Als erster in
Deutschland. 1825 wird Franz Bopp 34jährig Professor für Sanskrit in Berlin. Franz Bopp macht es möglich, daß sich nicht
England, nicht Frankreich, nicht Portugal, sondern Deutschland zum Zentrum der
Indologie entwickelt. Er wird der Sanskritpapst.
Am 15. Oktober 1800 wird ein weiterer „William Jones“
geboren: Thomas Babington Macaulay (1800 – 1859). Als Sprößling einer
berühmten evangelischen Familie hat er
einen besseren Start, aber sonst mit gleichen Charaktereigenschaften wie von
William Jones. Er wird sich nicht nur zum „Gottvater“ der Theorie der „Arischen
Rasse“ entwickeln.
Er ist außergewöhnlich frühreif, beginnt seine Ausbildung
1818 im Trinity College, Cambridge, wird bekannt als Endlosredner und
kongenialer Kumpel unter herausragenden jungen Männern in Cambridge. 1822 hat
er sein B.A., studiert Jura ohne Begeisterung, schreibt Gedichte.
1823 wird ein weiterer “William Jones” in Dessau geboren,
Friedrich Maximilian Müller.
1826 wird Thomas Babington als Rechtsanwalt zugelassen,
praktiziert aber nie ernsthaft. Im Gegensatz zu William Jones muß er die ganze
Familie ernähren als sein Vater pleite macht. Als Privatlehrer, durch Schreiben
und von den Einkünften aus einem unteren Regierungsposten. 30jährig schafft er
den Sprung in das Unterhaus für die Whigs von Calne in Wiltshire. Als
eloquenter Redner in einer Zeit voll von mächtigen Rednern wird er zum Sekretär
des „Board of Control“ der East India Company berufen. Er steigt rapide auf.
Seine Ambitionen auch.
Er bastelt im Parlament an ein Gesetz, das ihm unmittelbar den
lukrativen Posten eines Rechtsberaters im „Supreme Council of India“ einbringt.
In der Encyclopaedia Britannica wird
es später heißen: “Macaulay akzeptierte
die Einladung auf den neu geschaffenen Posten im Supreme Council of India zu
dienen, voraussehend, daß er von seinem Gehalt genug Geld für das spätere Leben
wird sparen können“. Salär 10000 Pfund.
Geschichtsfälschung? Wie auch immer! 1834 segelt er mit
seiner Schwester Hannah nach Kalkutta, die ihn bald verläßt, um einen Charles
Edward Trevelyan zu heiraten. Sie wird später seine Biographin und ihr Sohn
sein späterer Biograph. Verschüttet werden damit die Machenschaften, mit denen
Thomas Babington Macaulay im Parlament sein Einkommen von £1500 auf £10000
steigert. So schreiben Biographen „Geschichte“.
In Kalkutta bringt er
am 2. Februar 1835 einen Entwurf des Erziehungsprogramms für das kolonisierte
Indien ein. Am 7. März wird entsprechend entschieden. Das Herzstück seines
Programms ist: „Ich habe kein Wissen, weder über Arabisch noch über Sanscrit.
… Aber ich habe getan, was ich tun konnte, um zu einer korrekten Einschätzung
dazu zu gelangen. Ich habe die berühmtesten Übersetzungen von Arabisch und
Sanscrit gelesen. ... Ich bin bereit, die Bewertung eines orientalistischen
Lernens der Orientalisten selbst zu akzeptieren. Ich habe keinen von denen
gefunden, der leugnen würde, daß ein einziges Regal einer guten europäischen
Bibliothek wertvoller ist als die ganze Literatur der Eingeborenen in Indien
und in Arabien. Die immanente Überlegenheit der westlichen Literatur ist, in
der Tat völlig akzeptiert (...) In Indien ist Englisch die Sprache der
herrschenden Klasse...von allen Fremdsprachen wird die englische Sprache für
die Eingeborenen am meistens brauchbar sein. (...) Wir sind nicht damit
zufrieden, die Eingeborenen in dem Einfluß ihrer eigenen vererbten Vorurteile
zu belassen. ...es ist möglich aus den Eingeborenen dieses Landes absolut gute
englische Gelehrte zu machen. ... Wir müssen im Augenblick alles tun, um eine
Klasse zu formieren, die Vermittler werden könnte zwischen uns und den
Millionen von Menschen, über die wir herrschen; eine Klasse von Personen, Inder
in Blut und Farbe, aber englisch im Geschmack, in den Meinungen, in den
Moralvorstellungen und im Intellekt. Dieser Klasse können wir es überlassen,
die einheimischen Sprachen des Landes zu verfeinern und mit wissenschaftlichen
Begriffen, entliehen der westlichen Nomenklatur, anzureichern. Darüber hinaus sie schrittweise mit
geeigneten Medien ausstatten, damit sie der großen Masse ihrer Bevölkerung
Wissen vermitteln kann.“
Es ist ein
gründliches Programm für das kulturelle Klonen. An
seinen Vater hat Thomas Babington Macaulay am 12. Oktober 1836 geschrieben: “Es ist mein fester Glaube, daß es, wenn
unsere Erziehungspläne befolgt werden, innerhalb von dreißig Jahren von nun an
keinen einzigen Götzendiener unter den achtbaren Schichten in Bengalen geben
wird. Und dies wird erreicht werden ohne jegliche Bemühung zur Bekehrung, ohne
die geringste Einmischung in ihre Religionsfreiheit, lediglich durch die
natürliche Wirkung von Wissen und Überlegung. Ich habe herzliche Freude an
diesem Vorhaben.“
Nach seiner Rückkehr nach England in 1838 sitzt Thomas Babington
Macaulay bald wieder im Unterhaus, nun für Edinburgh. In ganz Europa sucht er
nach „Gelehrten“, die bereit wären, die alte Sanskritliteratur und die Veden in
seinem Sinne zu übersetzen. Diese
Übersetzung sollte „die neue Klasse“ der blond-blauäugig-weiß-christlichen
Kultur in Indien davon überzeugen, daß das Neue Testament der Bibel den alten
Veden überlegen sei. Er findet schließlich 1854 Friedrich Maximilian Müller
(1823–1900) aus Dessau. 1859 erfindet dieser die „Theorie der Arischen Rasse“. Er
behauptet, er hätte eine Stelle im Rigveda gefunden, in der die „Arische Rasse“
besungen wird. Dabei kann er nachweislich die Veden nur in der Devnagrischrift
buchstabieren. Vom Lesen und Verstehen der vedischen Texte ganz zu schweigen.
Erst 1878 wird er zugeben müssen, daß die vedischen Texte nicht in klassischem
Sanskrit geschrieben sind.
*****
Friedrich Maximilian Müller
wird am 6. Dezember 1823 in Dessau, der Hauptstadt des kleinen unabhängigen Fürstentums
Anhalt–Dessau, geboren. Der Großvater ist ein einfacher Händler, soll aber doch
geachtet gewesen sein. Vater Wilhelm wird Lehrer am Gymnasium, heiratet
Adelheide von Basedow. Die Basedows sind in Dessau angesehen. Vater
Wilhelm stirbt 33jährig, hinterläßt aber − seiner Frau, seiner 6jährigen
Tochter und seinem 4jährigen Sohn − kein Vermögen. Armut prägt Friedrich
Maximilian. Die verwitwete Adelheide lebt zunächst bei ihrem Vater, dann aber
nimmt sie eine Parterrewohnung in einem winzigen Haus. Sie muß mit etwa 150
Thalern im Jahr auskommen. Ehrgeizige Mutter, Abitur in Leipzig, kleines
Stipendium von 15 Thaler, Burschenschaft, Studium der Philologie, klassische
griechische und lateinische Literatur und Philosophie. Er studiert in Leipzig
etwa zwei Jahre. Nirgendwo sonst hat er länger studiert.
Die folgende kleine Geschichte offenbart
über ihn alles. Wir schreiben das Jahr 1841. Baron Hagedorn ist mit einer
Cousine von Friedrich Maximilian „sehr
befreundet“. Die ist mit einem Fürsten von Dessau verheiratet. Beide sollen
überein gekommen sein, daß Friedrich Maximilian die orientalischen Sprachen auf
dem orientalischen Seminar in Wien studiert und dann in den diplomatischen
Dienst eintritt. Er soll nach einer Adoption den fürstlichen Namen tragen. Er
hat dieses Angebot abgelehnt. Warum? Weil er seiner ersten Liebe, dem Sanskrit,
nicht untreu werden wollte. Sie glauben dieser hübschen Geschichte nicht?
Unser Fundort ist seine
Autobiographie, geschrieben an seinem Lebensabend, plaziert noch auf der
vorletzten Seite (S. 93) vor dem Abschnitt „Auf die Universität“. Der
Chronistenpflicht folgend muß ich anmerken, daß Friedrich Maximilian Müller
erst im Wintersemester 1841/42 zum erstenmal mit Sanskrit in Berührung kommen
wird.
Hermann Brockhaus kommt im
Wintersemester 1841/42 nach Leipzig. Seine Sanskritlehrer sind August Wilhelm
von Schlegel und Christian Lassen. Also, die „Schule“ des Autodidakten Franz
Bopp. Er bietet seine Vorlesung über Sanskritgrammatik an. Auf welche hat er
sich gestützt?
Und vor seinem Abgang nach
Berlin will Friedrich Maximilian auch eine Vorlesung von Hermann Brockhaus über
den Rigveda hören. Alle Indologen lesen Asiatick
Researches. Thomas Henry Colebrooke, − auch einer mit schlierender
Biographie und ohne Sanskritkenntnisse, − hat 1801 ein Essay über Rigveda
veröffentlicht. Seitdem beschäftigt sich jeder Indologe mit dem Rigveda auf
dieser Grundlage. Es kommt aber nicht dazu. Denn: „Hiermit bricht mein Kollegienheft ab, weil ich mich nunmehr rüstete,
nach Berlin überzusiedeln, um Bopp und Schelling zu hören.“ Es gibt
keinerlei Erwähnung einer Prüfung in Leipzig in seiner Autobiographie.
Bopp und Schelling lehrten
in der philosophischen Fakultät an der Friedrich Wilhelm Universität in Berlin.
Diese war keine Universität wie Leipzig, sondern eine Bildungsanstalt. In dieser
Bildungsanstalt konnte nur promoviert oder habilitiert werden, auch wenn
Studienanfänger nach einer Immatrikulation Vorlesungen besuchen dürften.
Allerdings müßten Sie die Doppelte Kolleggebühr entrichten als jene, die an
einer anderen Universität mit Erfolg Abschlußprüfungen abgelegt hatten. Nach
seiner handschriftlichen Überlieferung an der Friedrich Wilhelm Universität war
Friedrich Maximilian Müller in der Theologischen Fakultät als Studienanfänger
immatrikuliert.
Franz Bopp begegnet Friedrich
Maximilian Müller „sehr freundlich“,
aber es ist doch eine Enttäuschung für ihn. Weil Franz Bopp (S. 128–129, Autobiographie):
„damals im Alter von dreiundfünfzig
Jahren schon ganz den Eindruck eines alten Mannes machte. Im Kolleg las er
seine ‚Vergleichende Grammatik‘ mit Hilfe eines Vergrößerungsglases ab und
fügte nur wenig neues hinzu. Er ließ mir einige Manuskripte, die er in seinen
jungen Jahren auf Lateinisch abgeschrieben hatte (Ich bin Friedrich
Maximilian Müller für diesen interessanten Einblick in die fleißige Tätigkeit
Franz Bopps in Paris dankbar), aber bei
wirklich schwierigen Stellen versagte seine Hilfe.“
Auch in Berlin sieht er keine
Perspektive einen „Abschluß“ zu machen. Zwei Tage später macht er den Eintrag
in seinem Tagebuch (Nirad C. Chaudhuri, S. 43): „‚Ich kann Sanskrit nicht aufgeben, auch wenn dies keine Perspektive
aufzeigt.‘ Dann zwei Monate
später schreibt er seiner Mutter in tieferer Niedergeschlagenheit: ‚Ich sehne mich weg von Berlin, um gründlich
auf andere Gedanken zu kommen, weil ich hier alle Voraussetzungen habe, mich zu
einem Hypochonder zu entwickeln. Dies ist kein vorübergehendes Gefühl, es
gründet auf die Umstände, die mir manche traurige Gedanken verursacht haben.
Ich erkenne, daß meine Lebensplanung nicht in Erfüllung gehen wird; Du kannst
Dir vorstellen, wie schwer es mir fällt, mich von allen den mir liebgewordenen
Ideen zu verabschieden. Und doch wäre es in meiner Situation eine Dummheit,
eine Universitätskarriere anzustreben.‘“
Wie
groß seine Enttäuschung über Franz Bopp gewesen ist, läßt sich auch darin abschätzen,
daß er bereits nach einem ¾ Jahr in Berlin seine „Wanderschaft“ nach Paris
fortsetzt. Er entscheidet sich
für Paris, weil er seine Studien in Sanskrit dort fortsetzen will. Bei dem
französischen Indologen Eugène Burnouf. Er ist seit 1832 Professor für Sanskrit
am „Collège de France“. Er
konnte Sanskrit nur von Antoine Léonard de Chézy gelernt haben, also jener der
wie Franz Bopp Sanskrit ohne fremde Hilfe gelernt haben will, wie wir uns
erinnern. Der 22jährige Friedrich Maximilian Müller muß in Paris auch noch
Französisch lernen.
Für Paris bekommt er kein
Stipendium und muß seinen Lebensunterhalt verdienen. Wie? Es gibt mehr
Orientinteressierte als verfügbare Sanskrittexte in Paris. Kopiergeräte gibt es
noch nicht. Es gibt naturgemäß einen Markt für handschriftliche Kopien. Mit den
üblichen Abschreibfehlern, versteht sich. Aber wen interessiert das? Lesen wir
in der Autobiographie, S. 142–143, von Friedrich Maximilian Müller: „Für den Augenblick konnte ich nichts weiter
thun, um etwas Geld zu verdienen, als Manuskripte für andere abzuschreiben und
zu vergleichen. … saß ich die ganzen Nächte durch und schrieb ab, als daß ich
meinen Schülern eine Stunde opferte. Meine Lebensweise gestaltete sich jetzt
folgendermaßen: eine Nacht arbeitete ich durch, die nächste schlief ich drei
Stunden ohne mich auszukleiden, und die dritte Nacht ruhte ich mich im Bett
aus. Dann ging es von vorn an.“
Bis 1846 hat er alle in Paris
verfügbare Sanskrit Manuskripte auch für sich kopiert. Er weiß, daß die East
India Company über umfangreichere Manuskripte verfügt. Er kann nur einen
vierzehntägigen Aufenthalt in London planen. In seiner Not sucht er Baron
Christian Karl Josias von Bunsen (1791–1860) auf. Er ist geachteter Preußischer
Gesandter am königlichen Hof in London. Er soll dem Vater Müller in Rom
begegnet sein, als er beim Vatikan Gesandter war. Er ist ein gläubiger Christ
und auch ein verhinderter Orientalist. In seiner Studienzeit hat er den Essay
von Henry Thomas Colebrooke über „Veda“ von 1801 gelesen. Als ihm der 23jährige
Friedrich Maximilian Müller von seiner Absicht berichtet, den Rigveda vollständig
zu sammeln, lebt in ihm die alte
Sehnsucht wieder auf. Er will Friedrich Maximilian Müller mit ganzer Kraft
unterstützen.
Und er hat viel „Kraft“, nicht
nur finanzielle. Während Friedrich Maximilian Müller fleißig Manuskripte
abschreibt, gelingt Baron Bunsen nach langwierigen Verhandlungen die Zusage der East India
Company zu erringen, daß die Company Friedrich Maximilian Müller mit £200 im Jahr aushält und die Veröffentlichung des
Rigveda finanziert. Aber die East
India Company heuert keinen „Fremdenlegionär“ an, ohne Kontrolle. Er wird unter
die Obhut eines scharfen „Wachhundes“, gestellt, Horace Hayman Wilson. Ja, derselbe Horace Hayman Wilson, der 1819
das heute in Umlauf befindliche Sanskrit zuerst christianisiert hat. Auch einer
mit schillernder Biographie.
Wenn es möglich ist, durch
handschriftliches Kopieren von fremdsprachigen Manuskripten dieser Sprache
mächtig zu werden, dann war Friedrich Maximilian Müller der größte Sanskrit Gelehrte
aller Zeiten. Nachdem er Söldner der East India Company geworden war, hat er
nicht weiter Sanskrit lernen wollen
oder müssen.
Anläßlich
einer attraktiven Party erfährt Baron Bunsen 1854, daß Thomas Babington
Macaulay schon seit langem auf der Suche nach einem verläßlichen „Sanskritgelehrten“
ist, der seiner „Erziehungspolitik“ in Indien einen wirksamen langfristigen
Flankenschutz liefern kann. Die Einführung des Englischen Ausbildungssystems in
Indien garantierte zwar, daß: ‚Kein
Hindu, der eine englische Ausbildung erhalten hat, bleibt je seiner Religion
ehrlich ergeben‘. Sein Vorhaben,
‚eine Klasse zu formieren, die Vermittler
werden könnte zwischen uns und den Millionen von Menschen, über die wir
herrschen; eine Klasse von Personen, Inder in Blut und Farbe, aber englisch im
Geschmack, in den Meinungen, in den Moralvorstellungen und im Intellekt‘
entwickelte sich auch zwar prächtig. Aber seine „neue Klasse“ müßte gegen einen
Rückfall immunisiert werden. Alle alten Sanskrittexte sollen im christlichen
Geist übersetzt werden. Die Übersetzungen müssen den Markt überfluten. Von
diesem Geist abweichende Übersetzer sollen vom Markt verdrängt werden.
Friedrich Maximilian Müller wird
für die Immunisierung der „neuen Klasse“ auserkoren. Für gutes Geld der East
India Company. Es sollen 10.000 Pfund im Jahr gewesen sein. Ein fürstliches
Honorar für jemand, der an keiner Universität einen akademischen Grad erreicht
und in Deutschland, im Eldorado der Indologie, trotz vieler Bemühungen nicht
einmal eine Hilfsstelle ergattern konnte.
Er hat in die Welt gesetzt, daß
in den „Hymnen“ im Rigveda die eingewanderten „Indoeuropäer“ sich als „Arier“
bezeichnet und ihre ursprüngliche Heimat besungen haben. Es ist auch seine
„Schöpfung“, daß fortan die vermeintlichen Einwanderer auch eine rassische
Identität erhalten haben. Aber die Tücke des Objekts besteht darin, daß er
während seiner „Schöpfungen“ den Unterschied zwischen vedischer Sprache und
Sanskrit nicht gekannt hat.
Dafür hat er aber genau gewußt,
wie man dem Gönner dient. Er hat mit Erfolg propagiert: „Sanskrit von einem Pandit in Indien nach dem einheimischen
grammatikalischen System zu lernen muß ein sehr langweiliger Prozeß sein; und
das ist der Hauptgrund, warum dieser Teil der Ausbildung eines Zivilisten in
England erledigt werden sollte, unter Zuhilfenahme von Grammatiken,
Wörterbüchern, und Lesebüchern, nach einem mehr rationellen System verfaßt als
die Grammatik von Panini, das Mahabhashya, und die Amara–kosha.“
Er hat
51 Bände Heilige Bücher des Osten
(Sacred books of the East) ediert und einige sogar übersetzt haben will. Damit
wird die Übersetzung der Sanskrittexte noch unterhalb der Qualität des
Wörterbuchs von Horace Hayman Wilson (1819) gestellt. Danach besinnt sich
Friedrich Maximilian Müller auf den „Schatz“, den er „im Tal der Tränen“
während seiner Wanderjahre angesammelt hat. In seinem unerschöpflichen Eifer
des Abschreibens hat er all jene in Europa herum schwirrenden Sanskrittexte in
seinen Besitz gebracht. Warum nicht diese Sanskrittexte datieren? Keiner wird
zu seiner Lebzeiten diese Datierung anzweifeln können. Gedacht getan. Recht
hat er behalten.
Erst 1854 veröffentlicht ein „Bachelor
of Arts von Oxford“ ein „Pandit“−freies Sanskrit−Englisch−Wörterbuch, das weltweit
durchgesetzt hat. Jenes von William Monier Monier. Wie er das gemacht hat? Nun!
Lassen Sie mich mit einer
kurzen Episode meine Ausführungen schließen, die auf Seite 289 in
Lebenserinnerungen von Friedrich Maximilian Müller zu finden ist: „Ich
saß einmal in meinem Arbeitszimmer in Oxford und schrieb Sanskrit–Manuskripte
ab, als mir ein Besuch gemeldet wurde. Ein Herr in einem langen schwarzen Rock
trat ein, der anders aussah wie alle, die mich sonst besuchten, und mich in
einer Sprache anredete, von der ich nicht ein einziges Wort verstand. Ich
sprach Englisch und fragte ihn, was für eine Sprache er denn rede, worauf er
mit größtem Erstaunen zurückfragte: ‚Verstehen Sie denn nicht Sanskrit?‘
‚Nein‘, erwiderte ich, ‚ich habe es nie sprechen hören; aber hier sind einige
Veda–Handschriften, die Sie interessieren werden.‘ Er war hocherfreut,
dieselben zu sehen, begann, sie zu lesen, mußte aber bald bekennen, daß er
nicht imstande sei, auch nur ein einziges Wort zu übersetzen. Als ich mein
Erstaunen darüber aussprach (was ich lieber nicht hätte thun sollen!), erzählte
er mir, daß er nicht mehr an Veda glaube, sondern Christ geworden sei. Er hatte
ein äußerst intelligentes, gedankenvolles Gesicht, seine Rede und sein Wesen
waren sehr einnehmend, und wir waren bald tief im Gespräch. Sein Name war
früher Nilkantha Goreh gewesen; seit seinem Übertritt zum Christentum hieß er
Nehemiah Goreh.“