Wir alle wissen, wir sind das, was wir
wissen. Aber wie wissen wir was? Wissen wir nicht nur das, was Medien im
weitesten Sinne uns übermitteln? Wenn das Übermittelte in sich schlüssig, wenn es
in uns kein Zweifel oder Unbehagen erzeugt, wenn das Übermittelte nicht in
Widerspruch zu unserer Erfahrung und zu unserem bereits gespeicherten Wissen
gerät, sehen wir keine Veranlassung, es nicht gelten zu lassen. Wir ordnen und
speichern die neuen Bestandteile zu den übrigen ein und so erweitern wir unser
Wissen.
Je weniger Wissen wir über bestimmte
Bereiche gespeichert haben, umso bereitwilliger und argloser sind wir gegenüber
Erzählungen darüber. Diese Erzählungen geraten nicht in Widerspruch zu unserer
Erfahrung und zu unserem bereits gespeicherten Wissen über die nahen Bereiche. So
sind wir grundsätzlich bereit, Erzählungen aus fernen Bereichen, aus uns
fremden Bereichen leicht und arglos eigenzumachen. Wir lernen nicht
systematisch zu Fragen, wer der Erzähler ist, wie er zu seiner Erzählung kommt,
wie er seinen Lebensunterhalt verdient, wem die Erzählung dient, wen sie
schadet, usw., usw..
Beginnen wir aber
diese oder ähnliche einfachen Fragen zu stellen, müssen wir nach Antworten
suchen. Meist finden wir keine. Falsch. Wir finden Antworten, aber keine
überzeugenden. Es sind Antworten mit Haken und Häkchen. Antworten, die zu mehr
Fragen veranlassen. Fragen ohne Ende? Anscheinend. Weil es viele, zu viele
ungeklärte Zusammenhänge gibt. Zur großen Politik wie auch zum Alltag.
Als ein Fremder in
dieser Gesellschaft habe ich zwangläufig fragen müssen, warum es hier große und
kleinere Jagd auf fremde Menschen gibt. Werden die Fremden überall gejagt oder
nur in den reichen Ländern? Werden alle Fremden gejagt? Was ist fremd? Wie wird
die Fremdheit wahrgenommen? Wo beginnt die Fremdheit? Wie definiert sich
„fremde Rasse“? Wie ist ihre Wertigkeit? Kann es Verfolgung „fremder Rassen“
ohne die Erfindung von „Rasse“ geben? Wer hat wann „Rasse“ erfunden? Viele
Geschichten werden erzählt. Allerlei Geschichten über „die Anderen“, über „die
Fremden“, über deren Kulturen, die durch die „modernsten“ Transportmittel, die
„Medien“, werden zu uns gebracht und von uns vermehrt konsumiert. Überall. In
den reichen Ländern mehr. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Verfolgung
fremder Menschen und dem schnellen Transport dieser Geschichten?
Lassen nicht
Geschichten über Armut, über Katastrophen, über Inkompetenz, über Korruption,
über Willkür anderswo ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber allen anderen
entstehen? Überlegenheit gegenüber Personengruppen wie Asylsuchenden und
Asylanten, über Flüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge, über unerwünschte und
nützliche Einwanderer, über Arbeitslose, über Sozialhilfeempfänger, über Obdachlose
usw., usw.? Sind wir nicht besser dran? Sind wir nicht die Besseren? Haben wir
nicht mehr aus uns was gemacht? Wir? Wir die Modernen, wir die Zivilisierten, wir
die Überlegeneren? Müssen wir nicht stolz auf uns sein?
Wie und seit wann
lernen wir, daß die Wertigkeit von Menschen abhängig ist von äußeren Merkmalen
wie: groß – klein, stark – schwach, blond – nichtblond, blauäugig –
nichtblauäugig, weiß – schwarz und die vielen anderen „rassischen“ Merkmale.
Was ist „Rasse“? Seit wann lernen wir, daß es „Rassen“ von Menschen mit
unterschiedlicher Qualität gibt? Seit wann gibt es Kategorien wie: „Wir“ und
„die Anderen“?
Müssen wir uns
beispielsweise nicht fragen, wie reiche Länder reich geworden sind? Wieso
werden die Reichen immer reicher, auch innerhalb der reichen Länder? Wieso
jagen die reichen Staaten waffentechnisch unterlegene Staaten? Wieso verstecken
sich die reichen Staaten hinter immer unterschiedlicheren Fassaden wie
beispielsweise die „NATO“, die „internationale Staatengemeinschaft“ und
jagen gemeinsam andere Staaten und attackieren andere Kulturen. Was ist die
„NATO“? Was ist die „internationale Staatengemeinschaft“? Wer steckt dahinter?
Welche Staaten sind es, die sich zu dieser „internationalen
Staatengemeinschaft“ zusammengefunden haben? Warum reichen dieser
„internationalen Staatengemeinschaft“ die älteren Fassaden wie die „Vereinten
Nationen“, der Internationale Währungsfond, die Weltbank usw. nicht mehr? Gibt
es einen Zusammenhang zwischen der Jagd der „internationalen Staatengemeinschaft“
auf die schwachen Staaten einerseits und der Jagd auf fremde Menschen innerhalb
dieser „Staatengemeinschaft“ anderseits? Und dann: Wer innerhalb dieser
„Staatengemeinschaft“ jagt wen? Sind die Gejagten nur Fremde?
Müssen wir nicht
wissen wollen, wie es den Heranwachsenden zu Mute ist, wenn „Promis“ mit
Leibwächter die „anständige Bevölkerung“ auffordern, in der Öffentlichkeit
„Gesicht“ zu zeigen und den „Aufstand der Anständigen“ zu proben, die
Zivilcourage zu praktizieren? Würden die gleichen Aufforderungen in Deutschland
erfolgen, wenn die Neonazis nur Jagd auf Menschen „minderwertiger Rassen“
machten und nicht auch noch Synagogen und jüdische Friedhöfe schänden würden?
Oder wenn überall innerhalb der „Staatengemeinschaft“ Synagogen und jüdische
Friedhöfe im gleichen Umfang geschändet würden?
Fällt es nicht auf,
welche Inflation von Erklärungen es für diese Übergriffe gibt? Ist es nicht
immer ein Wettkampf der „Promis“ untereinander, um die griffigste, um die am
leichtesten verkäufliche Erklärungen loszutreten? Zu welchen Themen auch immer?
Wie heißt es so schön? Heißt es nicht unisono,Themen „besetzen“? Themen besetzen?
Damit nicht auch bestimmte Antworten? Wie sollen wir in diesem lautstarken
Lärm uns noch die Zeit nehmen zu fragen: was war eigentlich noch in Solingen,
Hoyerswerda, Rostock oder wo auch immer? Hat es nicht schon immer „einen
Aufstand der Anständigen“ gegeben?
Wer erinnert sich
noch, was beispielsweise die deutsche Filmregisseurin Doris Dörries anläßlich
„eines Aufstandes der anständigen Kulturpromis“ nach den mörderischen
Übergriffen in Rostock im Thalia Theater in Hamburg als etwas Programmatisches
unterbreitet hatte? Wissen wir noch, wer Doris Dörries ist?
Hatte sie nicht
damals von der Öffentlichkeit unwidersprochen gemeint, daß das „Wegschauen“
nichts mit dem „Anstand“, sondern mit der Angst
zu tun hat. Angst gegenüber Rowdies? Hatte sie nicht im Thalia Theater in
Hamburg den Vorschlag unterbreiten, daß wir alle ein für alle sichtbares
Zeichen in der Öffentlichkeit tragen sollten (an dem Tag trugen viele ein lila
Band) , damit wir an allen Orten wissen, daß wir gegen Rowdies nicht allein
sind? Mit dieser Anregung hatte Doris
Dörries damals Riesenbeifall geerntet. Erinnern Sie sich? Liveübertragung im
öffentlich–rechtlichen Fernsehen? Wie gesagt: nach „Rostock“. Tragen wir „ein
Lila Band“ oder etwas Ähnliches? Wissen wir noch, wann „Rostock“ war? Vergessen
wir nicht immer mehr. Immer schneller. Wieso wird unser Gedächtnis immer
kürzer?
Wie sollen wir
angesichts dieser Verhältnisse noch fragen können, was vor „Rostock“ war? Vor
den „Türkenwitzen“? Vor den „Gastarbeitern“? Vor der „Reichskristallnacht“? Vor
der Machtübernahme Hitlers? Vor „Mein Kampf“? Vor dem Ersten Weltkrieg? Vor
dem Kolonialismus? Vor dem Zeitalter der „Aufklärung“? Fragen ohne Ende. Und
natürlich ohne Antworten, weil wir ja solche Fragen nicht stellen, nicht
stellen sollen.
Aber müssen wir uns
an diese Spielregel halten? Sollen wir nicht
üben, Fragen zu stellen. Beispielsweise: Ist die Alltagsgewalt von heute
tatsächlich neu? Die tägliche Jagd auf Fremde, auch gegen die sozial Schwachen
wie Kinder, Frauen, Arme! Was sind die Grundpfeiler dieser Kultur, für die
findige Köpfe – gut dotiert – sich immer neue Namen einfallen lassen und uns
diese durch die vielfältige Mediengewalt täglich einhämmern? Bekommen wir nicht
alle Jahre wieder einen neuen Namen für die gerade gegenwärtige Kultur bzw.
Gesellschaft verpaßt? Hält die Namengebung noch Schritt mit dem „Fortschritt“?
Können wir uns an all die Namen erinnern?
Wurden nicht einige
Namen der herrschenden Kultur bzw. der Gesellschaft vorangestellt? Wie Christliche, abendländische, europäische,
industrielle, westliche, Nachkriegs–, demokratische, moderne, humanistische,
post–industrielle, formierte, solidarische, Freizeit–, Informations–, Risiko–,
Medien–, Wissens-,offene, globale, Internet–, interaktive, Spaß–, Fernseh–,
usw., usw. Ist dieses Ritual der Namengebung, für ein und dieselbe
Gesellschaft, eher ein Ausdruck besonderer Phantasie, besonderer Genauigkeit?
Oder ein Ausdruck der Verlegenheit? Eine Suche nach Identität? Oder der
verzweifelte Versuch, wesentliche Charakteristiken dieser Kultur zu
verschleiern, die Aufmerksamkeit ständig auf den Wandel der Oberfläche und auf
die technologische Raffinesse zu lenken? Wer hat Angst davor, daß wir die
Grundpfeiler der herrschenden Kultur selbst entdecken und sie benennen? Sind
wir dazu nicht in der Lage? Sind wir zu dumm? Wenn es so wäre, warum das unaufhörliche
Einhämmern falscher „Information“ und der begleitende Aufwand um die sogenannte
politische „Bildung“? Sind wir doch nicht dumm? Und deshalb das Einhämmern?
Pausenlos? Wir lassen die Fragen als Merkposten stehen.
II.
Das tägliche Leben
wird heute durch „Informationen“ geordnet. Weltweit. Durch die Medien. Je mehr
Informationen, umso gefestigter die Ordnung. Informationen werden auch
vermittelt durch Elternhaus, Schule und Umfeld. Nicht zu knapp! Wo kommen die
Informationen her, wo werden sie erzeugt, wer bringt sie in Umlauf, welche Wege
nehmen sie, wie lange dauert es, bis eine Information vom Produktionsort das
Elternhaus erreicht? Ist es wichtig, das zu wissen?
Konsumieren wir Informationen
nicht gern? Vermitteln sie uns nicht wissen? Wissen? Was ist Wissen? Wann soll
überhaupt noch nachgefragt und nachgedacht werden? Nachgefragt und nachgedacht?
Ist es notwendig? Haben wir Zeit? Reichen 24 Stunden am Tag aus? Helfen uns die
wenigen Rufer wie der Medienkritiker Neil Postman, daß wir uns möglicherweise
zu „Tode unterhalten“ oder zu „Tode informieren“ könnten? Wenn es so wäre, wäre
das nicht ein sorgenfreier, ein unterhaltsamer, ein fröhlicher, ein schöner
Tod? Was ist dagegen einzuwenden? Aber wir leben leider. Wir leben heute. Und
wir können nicht aussteigen, selbst wenn wir wollten. Von wo und wohin? In
unserer Zeit haben Robinsons keinen
Platz auf diesem Planeten. Aber müssen wir aussteigen, müssen wir alles hinnehmen,
was uns so gebracht wird?
Das Netzwerk des
Transports von „Informationen“ wird immer dichter. Die Übertragungen
flächendeckend. Die Menge der Informationen steigt und alles wird immer
unüberschaubarer. Unüberschaubar ist auch die rasende Erfindung der
Technologien. Informationen werden immer schneller zu uns gebracht. Rund um die
Uhr. Rund um die Welt. Allein die Beherrschung der sich schnell veralternden
Ausrüstungen verbraucht mehr Zeit als wir eigentlich zur Verfügung haben.
Geraten wir so nicht in die Informationsfalle? Sind wir uns dessen bewußt?
Wollen wir uns aus dieser Falle befreien? Können wir uns befreien? Wie?
Wir sollten nicht
nach Rezepten schielen. Aber wir sollten uns einzeln und gemeinsam ernsthaft bemühen,
uns aus dieser Falle zu retten. Ununterbrochen. Nur das unaufhaltsame Bemühen
und der ständige Austausch unserer Erfahrungen können uns aus der
Informationsfalle führen. Wir sollten darauf bauen.
Wir wissen wenig
darüber, wo jene über uns geschüttete Informationen, ursprünglich erzeugt
werden, wer sie erzeugt und warum sie uns verfügbar gemacht werden. Wir kennen
weder die Gesamtmenge der erzeugten Information noch jenen Anteil, der uns
verfügbar gemacht wird. Und wir haben wenig Mittel, die Qualität dieser
Informationen zu überprüfen.
Doch wird unser
tägliches Leben von Informationen überflutet. Wir kaufen sie täglich. Und wie
es bei einer Flut so ist, wir sehen die Flut kommen, wir sehen die Wucht der
Flut und doch können wir nicht wirklich fliehen. Selbst wenn uns die Flucht
gelingt, holt uns die Flut noch mittelbar ein. Aber müssen wir diese Flut von
Information kaufen, unsere Lebenszeit damit verbrauchen?
Und was ist Information? Alles was über die „Medien“ geliefert wird?
Gibt es Unterschiede? In der Qualität? Welche? Wo und wie lernen wir,
Informationen zu unterscheiden, zu bewerten? Ist Information bloß eine Nachricht, eine Auskunft, eine Belehrung,
oder etwa auch ein Baustein für Wissen
oder alles zusammen? Wo finden wir Antworten auf diese Fragen? Die Verkäufer
der Informationsmaschinerie tun dies
nicht. Könnten wir zu Nachschlagewerken greifen. Helfen sie uns weiter? Was
sind Nachschlagewerke? Gibt es auch Unterschiede zwischen ihnen? Seit wann gibt
es sie? Wer verlegt sie? Wer trägt die Schlagworte zusammen? Werden alle
Schlagwörter erfaßt? Gibt es Auslassungen? Welche? Und wie wissen ihre Autoren,
wenn sie selbst glauben, etwas zu wissen, daß ihr Wissen auch Wissen ist?
Welche sind die Quellen ihres Wissens? Was ist, wenn diese Quellen vergiftet
sind oder nur den Schein vermitteln, Quelle zu sein, ohne je eine Quelle
gewesen zu sein? In welchem Verhältnis stehen die Autoren zu der Informationsmaschinerie? Wir sollten nicht
auf Antworten schielen. Aber wir sollten schon Antworten versuchen und suchen.
Gemeinsam. Wie sollten wir sonst die Gefahr abwenden, willenloses Werkzeug,
Roboter für Besitzer der Informationsmaschinerie zu werden?
Wir alle wissen,
daß „Informationen“ nicht vom Himmel fallen. Sie werden produziert, uns
geliefert und wir verbrauchen sie. Die Bandbreite der Träger – „Medien“ genannt – ist breit. So scheint
es. Die Bandbreite der Medien wird immer dichter. Und diese Verdichtung soll
„Fortschritt“ bedeuten. Je dichter, umso fortschrittlicher. So wird es uns
präsentiert und wir glauben auch daran. So sehr, daß wir uns im Alltag über
diese Träger, über die Medien, wenig Gedanken machen. Wir stürzen auf den
Inhalt der uns überbrachten Information und debattieren darüber mit viel Akribie.
Irgendwann ist die Luft raus. Selten haben wir die Kraft und die Ausdauer uns
über den Träger, über den Weg, über den Erzeuger, über die Quelle Gedanken zu
machen. Und was ist, wenn die Information einen erfundenen, einen nicht
zutreffenden, einen falschen, einen
gefälschten Inhalt hat? Ja, was ist,
wenn es so wäre? Wären wir dann nicht etwas „glauben gemacht“ worden, was nicht
ist? Und wenn es so wäre, wem nutzt das? Wem schadet das? Hat es etwas mit der Macht zu tun? Ausübung der Macht durch Manipulation? Wer übt die Macht
über uns aus?
Der immer schneller werdende Alltag läßt uns keine Zeit mehr, nach der
Quelle und nach der Qualität der Quellen zu fragen, bevor wir uns mit dem
Inhalt der „Information“ befassen. Ist dies nicht überall die Praxis geworden,
in der Hochschule, in den Lektoraten der Verlage und in den Redaktionen der
Medien? Besorgt sich nicht jeder seriöse Mensch,
jede Einrichtung, Information nur von seriösen
Agenturen? Und wir alle sind doch seriöse Menschen! Oder? Dann erübrigt sich doch
das Hinterfragen! Oder? Man kann schließlich nicht jedes und alles
hinterfragen. Wo kämen wir dann auch hin? Nirgendwo. Wir kämen überhaupt nicht
von der Stelle weg. Nicht wahr? Bewegung ist angesagt. Fortschreiten! In welche
Richtung? Fortschritt eben! Wer rastet, der rostet. Und welcher „moderne“
Mensch will rosten?
Also lernen wir die fortschrittliche Wertigkeit zu verinnerlichen. Es
gibt seriöse Agenturen und es gibt unseriöse Agenturen. Seriöse Quellen und
unseriöse Quellen. Seriöse Nachschlagewerke und andere. Seriöse
wissenschaftliche Werke und andere. Nach welchen Kriterien so entschieden wird?
Wer so entscheidet? Wer die Entscheidung propagiert? Haben wir Zeit, solche
Fragen zu stellen? Wissen wir denn nicht, daß die Deutsche Presseagentur im
Vergleich zu nicht–deutschen Agenturen verläßlicher ist, TASS, Tanjug, Terra
und wie sie alle heißen mögen?
Es gibt natürlich einige etwa gleich gute Agenturen, wie Reuters, AP,
AFP. Sie tauschen ihre Informationen untereinander aus. Ungeprüft, versteht
sich. Der Rationalisierung wegen. Schließlich müssen die Agenturen
wirtschaftlich organisiert sein, genug Geld verdienen, um sich gute Mitarbeiter
leisten zu können. Kurz: alle Agenturen, die zu uns gehören, sind auch seriös und glaubwürdig. Wäre es nicht so,
würden sie auch nicht zu uns gehören. Bekannte Nachschlagewerke sind eben
seriöser, sonst wären sie ja auch nicht bekannt. Renommierte Verlage sind, na
ja, wir wissen schon. Ein viel schreibender Wissenschaftler ist eben weiser.
All dies hat man zu wissen. Sonst läuft man Gefahr, kurzatmig und unbeweglich
zu werden. Zu rosten.
Wie schon erwähnt, werden wir nicht nur von einer unüberschaubaren
Menge von „Informationen“ überschüttet, sondern auch die Geschwindigkeit des
Überschüttetwerdens steigt ständig. Dabei haben wir, hat die Menschheit,
etliche Quantensprünge beim Austausch von Beobachtungen, Erfahrungen und
Meinungen hinter sich: die Erfindung von Schrift, Druck, Film, Telegraphie,
Funk, Telefon, Fernsehen, Internet, Digitalisierung. Gibt es heute noch
Möglichkeiten, eine Fälschung vom Original zu unterscheiden? Machen wir uns
Gedanken darüber? Haben wir Zeit dazu? Wird es nicht immer schwieriger, der
Quelle einer „Information“ nachzuspüren, die Verläßlichkeit einer Quelle zu prüfen,
„die Spreu vom Weizen“ zu trennen? Wie bewußt sind wir uns dieser mißlichen
Lage? Fragen über Fragen. Wir finden keine Antworten. Nicht in den Nachschlagewerken,
nicht in den „wissenschaftlichen“ Büchern. Aber die Tatsache allein, daß wir
beginnen, unübliche Fragen zu stellen, wird uns helfen, mit dem Ist–Zustand der
Macht-Medien-Manipulation immer besser klarzukommen. Wie war der Zustand der
Macht-Medien-Manipulation früher?
III.
Wie verläßlich ist der Austausch von
Beobachtungen, Erfahrungen, Erkenntnissen und Meinungen unserer Vorfahren in
der Kultur der schriftlosen Zeit gewesen? „Sprach– und
Kommunikationswissenschaftler“ erzählen uns
darüber so gut wie nichts. Es ist ja auch schon so lange her. Außerdem
ist es nicht wissenschaftlich eine Nicht–Frage zu stellen? Lernen wir nicht
schon immer, daß wir im fortschrittlichsten Zeitalter mit der höchst
entwickelten Kultur aller Zeiten leben? Das Glück der Spätgeborenen?
Die fleißigen
„Wissenschaftler“ von heute sagen uns nichts über die Verläßlichkeit,
über die Genauigkeit der Wissensvermittlung in der schriftlosen Zeit. Nichts zu
der Zeit nach der Erfindung von Schrift, bis hin zum nächsten Quantensprung,
der Erfindung des Buchdrucks mittels Bleilettern. Wir haben sie auch noch nicht
so eindeutig gefragt. Angeblich soll es ja keine Antworten geben, wenn nicht
ausdrücklich danach gefragt wird. Angeblich. Das Gesetz des Marktes soll es
sein: Keine Nachfrage, kein Angebot. Wenn wir aber – dem Markt zum Trotz – häufig
den Eindruck haben, daß uns mehr Antworten gegeben werden als gefragt, dann
stimmt möglicherweise etwas mit unserem Apparat der Wahrnehmung nicht. Oder?
Und wenn Antworten gegeben werden, bevor überhaupt gefragt worden ist? Was
dann?
Wollten wir über die Verläßlichkeit des Austausches von Beobachtungen,
Erfahrungen, Erkenntnissen und Meinungen unserer Vorfahren in der schriftlosen
Zeit Gedanken machen, sind wir auf unsere Vorstellungskraft angewiesen. Ich stelle
mir vor, daß der ursprüngliche Austausch unserer Vorfahren über Laute und
Gestik von Angesicht zu Angesicht stattgefunden haben muß. Überall. Ob neben
dem Sehen und Hören auch andere Sinnesorgane für diesen Austausch herangezogen
wurden, lassen wir an dieser Stelle außer Acht, weil ich mir dies nicht vorstellen
kann.
Ich stelle mir vor, daß unsere Vorfahren ihr Umfeld immer genauer
abgestuft wahrnahmen und für den Austausch von Wahrnehmungen und Erfahrungen
die Bandbreite von Lauten zu Sprachen und die Gestik zur darstellenden Kunst
ausformten. Ich stelle mir auch vor, daß diese Systematisierung ein
langandauernder, mühsamer Weg war und ohne die Austauschform von Angesicht zu
Angesicht nicht möglich gewesen wäre. Unterschiedliche Beobachtungen, Wahrnehmungen,
Deutungen und Meinungen wurden ausgetauscht, besprochen, angeglichen und
vereinbart. Einvernehmlich. Fortwährend. Gespeichert wurde der Inhalt im
Kopf. Außenspeicher waren und sind bei dieser Austauschform nicht zwingend
notwendig. Auch zu unserer Zeit wird im Alltag hauptsächlich diese
Austauschform praktiziert. Ohne dauerhafte Mißverständnisse. Deshalb können wir
uns auch ohne die „wissenschaftlichen Stützen“ verständigen. Wäre die Qualität
dieser Austauschform nicht überzeugend, würde es zur Ansammlung von Wissen gar
nicht gekommen sein, ebenso nicht das Bedürfnis entstanden sein, über Schriften
das angesammelte Wissen auch außerhalb des Kopfes zu speichern.
Sicherheitskopien im Außenspeicher. Aber eben Kopien, und nicht als Ersatz für
den audiovisuell gestützten Kopfspeicher.
Jeder Austausch von
Angesicht zu Angesicht, seien es Erfahrungen, seien es Beobachtungen, seien es
Meinungen, seien es Phantasien, seien es Berichte über Geschehnisse, seien es
Lügengeschichten, beeinflußt uns, verändert uns und wir wachsen dadurch, in
welche Richtung auch immer. Dabei hören und sehen wir uns unmittelbar. Ohne
Vermittlung durch technische Hilfsmittel bzw. Geräte. Wir registrieren die
Betonungen der Sprache und wir beobachten die Regungen im Gesicht. Wir sind
gegenseitig unmittelbar Fragen und Kommentaren zugänglich. Keine andere
Austauschform kann wirkungsvoller sicherstellen, daß der auszutauschende
Inhalt unmißverständlich und wirklichkeitsgetreu übermittelt werden kann.
Wir wissen nicht,
seit wann vorsätzlich gelogen und gefälscht wird. Wir sollten uns auch nicht
ablenken lassen mit müßigen Fragen wie: seit wann wir lügen, seit wann wir
fälschen, seit wann wir aus Eigennutz andere aufs Kreuz legen, oder auch wann
und wo zum ersten Mal eine Fälschung als solche später aufgeflogen ist. Für uns
ist die Erkenntnis wichtig, daß unvermeidbare, aber doch wahrgenommene Fehler,
verursacht durch die „Tücke des Objekts“, uns immer in die Versuchung führen
können, vergleichbare Fehler – von anderen unbemerkt – einzuschleusen, wenn es
uns nützt. Und uns nützen heißt mit
anderen Worten natürlich, anderen zum
Nachteil gereichen.
Wie groß ist
eigentlich das Risiko beim Fälschen? Ist das Risiko nicht kalkulierbar?
Wahrscheinlich fliegt es gar nicht auf. Wahrscheinlich fliegt es so spät auf,
daß der Fälscher nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann. Und sollte
die Fälschung doch zeitig auffliegen, wie soll entschieden werden, ob es sich
um eine Fälschung handelt oder nur falsch ist, durch die „Tücke des Objekts“,
so zu sagen! Selbst wenn alle Wahrscheinlichkeit dafür sprechen würde, daß die
„Tücke des Objekts“ auszuschließen ist, gäbe es noch viele Möglichkeiten sich
herauszureden. Wer kennt das nicht? Wer erinnert sich nicht an die „black-outs“
der Mächtigen jüngster Zeit?
Nun: die
gesellschaftliche Kategorie, einem nutzen
– dem anderen schaden bzw.Vor– und
Nachteil setzt Verteilung der begehrten Objekte voraus. Wir sollten nicht
untersuchen wollen, seit wann. Aus schon bekannten Gründen. Warum sollen wir
uns auf den Holzweg der Erkenntnisgewinnung begeben? Also bleiben wir bei der
Verteilung. Und alles was begehrt ist, wird auch knapp. Warum nicht bei den an
sich gleich zu verteilenden begehrten Objekten, uns in dem Maße begünstigen,
wie es auch durch die „Tücke des Objekts“ hätte passieren können. Wo ist das
Risiko? Fest steht, daß schon seit vielen Jahrhunderten gefälscht und gelogen
wird. Mit steigender Tendenz. Auf die rasend schnell wachsende, vermarktbare
Technologien stützend. Im Zeitalter der
Digitalisierung ist die Manipulation eines
Originals nicht mehr feststellbar. Diese Technik macht es möglich, daß
beliebig viele Kopien des Originals und Kopien von Kopien ohne Qualitätsverlust
hergestellt werden können. Nicht eine gewaltige Kulturleistung? So wird uns
diese Technologie verkauft. Sie leistet noch mehr. Sie öffnet der Fälschung Tür
und Tor. Denn im Klartext heißt diese Technologie nämlich, daß ein Dokument,
ein Bild, ein Klang in Ziffern aufgelöst, beliebig oft neu geschrieben und
wieder in Dokument, oder Bild oder Klang umgewandelt werden kann. Natürlich
können unterwegs einige Ziffern verloren gehen, oder auch verschwinden oder
aber auch hinzugefügt werden. Am Ende steht eine Endanfertigung und sie steht
eben, ausschließlich und endgültig. Hauptsache sie ist schön und vermarktbar.
Kein Fortschritt ?
Kehren wir zurück
zur Schrift. Mit der Erfindung der Schrift als Mittel (Medium) des Austausches (der Kommunikation)gehen uns die Höhen und Tiefen des
Klangs beim Erzählen und die Regungen im Gesicht als Ausdruck des
Gemütszustandes verloren. Auch die Gelegenheiten zur Klarstellung und zur
gemeinsamen Einschätzung. Es ist eigentlich unwichtig herausfinden zu wollen,
wo und wer auf dieser Erde sich zum ersten Mal als Erfinder der Schrift brüsten konnte. Und wer sich
brüsten will, muß es wohl nötig haben. Es wäre auch ohnehin eine Reise in die
Sackgasse, eine Beschäftigungstherapie, typisch für eine „Guinnessbuch-Kultur“
oder, was noch schlimmer wäre, ein Ablenkungsmanöver von wesentlichen Fragen.
Denn selbst wenn zweifelsfrei festgestellt werden würde, wo, wann und von wem
die Schrift zuerst erfunden wurde, hätten wir als Menschheit davon keinen
brauchbaren Erkenntnisgewinn. Eher eine Vergeudung von Energie und Zeit, die
zum wirklichen Erkenntnisgewinn dann fehlen könnte. Bei folgenden Überlegungen
beispielsweise.
Es ist
unbestritten, daß die Erde Millionen und die Menschheit hunderttausende Jahre
älter ist als Moses uns „glauben machen“ will bzw. die christliche Zeitrechnung
zählt. Es ist auch unbestritten, daß der Mensch als gesellschaftliches Wesen schon immer über den bloßen Reflex auf
Umweltreize hinaus Erfahrungen gemacht, über sie nachgedacht hat, sie prognostiziert,
deren Bedingungen im Umfeld gespeichert, mit den Zeitgenossen ausgetauscht,
sich dabei gegenseitig ergänzt und anderen berichtet hat. Diese Beobachtungen
und Erfahrungen und deren Weitergabe markieren die Geburtsstunde der
Wissenschaft.
Ich kann beim
besten Willen nicht nachvollziehen, wenn gemeinhin behauptet wird, daß die wirkliche Wissenschaft die „moderne
Wissenschaft“ sei, die durch Experimente, also durch die Wiederholbarkeit unter
kontrollierten Bedingungen gekennzeichnet ist und etwa seit 300 Jahren
praktiziert wird. Beginnend in Europa, nunmehr mit steigender Tendenz weltweit
verbreitet. Diese Zäsur hat sich nicht so einfach eingeschlichen, sie ist
nicht nur falsch, sie ist eine Fälschung.
Ist es zu glauben,
daß die Akteure der „modernen Wissenschaft“ sich dessen nicht bewußt sind bzw.
gewesen sind, daß ihre Tätigkeit auf den Tätigkeiten ihrer Vorfahren basierte?
Und daß jedes Experiment vorhandenes Wissen voraussetzt? Logisch kann es keine
Hypothesen ohne Thesen geben, ebenso keine Thesen ohne einen Sockel aus
gesichertem Wissen. Wie konnte es dennoch geschehen, daß die „modernen
Wissenschaftler“ nur das eigene Tun als die wirkliche Wissenschaft ausgeben,
und damit alles Frühere als weniger wissenschaftlich herabwürdigen? Und dies
angesichts jener mühsamen Ansammlung von Beobachtung, Wahrnehmung, Deutung,
Bewertung, Meinungsbildung, Austausch und der fortwährenden Überprüfung im
wirklichen Leben. Nicht im Labor! Nicht virtuell.
Wie kann es bis zu
unseren Tagen geschehen, daß diese Fälschung auch noch weltweit vermarktet
werden kann? Ich belasse auch diese interessante wie wichtige Frage hier als
einen Denkposten.
Ich halte nur fest,
daß die Zäsur „moderne Wissenschaft“ nicht nur falsch ist, sie ist auch
problematisch, weil hiermit unter der Hand ein weiter Bereich menschlicher
Erfahrung durch diese Verengung ausgegrenzt wird, nämlich die Metaphysik. Alles
was das Fassungsvermögen der „modernen Wissenschaftler“ übersteigt, soll es
auch nicht geben. Wird das Fassungsvermögen der „modernen Wissenschaftler“
nicht vom Markt geprägt?
IV.
Aber kehren wir zu
dem zurück, was noch allseitig unbestritten ist, nämlich die Geburtsstunde des
Zusammentragen und des Speichern von Wissen im Kopf durch unsere Vorfahren. Ich
stelle mir vor, daß unsere Vorfahren als wachsame Beobachter (Empiriker) bald
gemerkt haben, daß sich beim Abrufen der im Kopf gespeicherten Erfahrungen
Fehler einschleichen können. Was tun? Viele Wege müssen gegangen worden sein, um das gewonnene Wissen auch für
die Nachwelt zu erhalten. Es ist nachvollziehbar, daß die Technik des Absicherns
eine Bandbreite gehabt hat. Von kollektiven Übungen des fehlerfreien Abrufens,
Konstruktion von Eselsbrücken,
Dichtung von lebensnahen Erzählungen über unterschiedlichste Geschehnisse,
Verse über Ereignisse und Erkenntnisse mit unterschiedlicher Metrik, Klängen,
bis hin zu Markierungen außerhalb des Kopfspeichers auf witterungsbeständigen
Materialien. Und die Markierungen sind über Zeichnungen, graphische
Darstellungen, Symbole zu Buchstaben und zur Schrift geworden.
Durch die Vielfalt
der überlieferten Medien unterschiedlicher
Reichweite und Qualität legen unsere Vorfahren uns nah, daß sie über einen möglichen
Verlust des von Angesicht zu Angesicht gewonnen Wissens sehr besorgt gewesen
sind und deshalb möglichst viele Außenspeicher als Stütze des Kopfspeichers
anlegten. Damit übermitteln sie uns auch, daß sie keinen der Außenspeicher als
Ersatz ansahen. Die Bemühung um die „Phonetik“ in der Schrift ist der Hinweis,
wie besorgt sie über den Verlust des Klanges bei der Nutzung von Außenspeichern
waren.
Es ist
unbestritten, daß die Erfindung und Entwicklung von Schrift als Träger der Sprache eine gewaltige
Kulturleistung gewesen ist. Die Schrift hat es möglich gemacht, daß das
angesammelte Wissen – wenn auch in einer abgemagerten
Form – außerhalb des menschlichen Kopfes gespeichert werden konnte. Dadurch
wird die Begrenzung des Raumes und der Zeit für den geistigen Austausch
überwunden. Auch wird der Umfang von Erfahrungen und Einschätzungen
vergrößert. Die Schrift als Außenspeicher, als eine mittelbare Ergänzung zum
unmittelbaren Austausch, bereichert unsere Wahrnehmung und Erfahrung. Ohne
jeden Zweifel.
Bekanntlich hat
jede Lichtseite auch eine Schattenseite. Seit es die Schrift gibt, scheint der
Umfang des unmittelbaren Austausches aus
welchen Gründen auch immer tendenziell abzunehmen. So verflüchtigt sich auch
die Möglichkeit der unmittelbaren Überprüfung, der sofortigen Korrektur der
fehlerhaften Wahrnehmung. Wie oft erfahren wir die Schwierigkeit im Alltag,
das, was uns im Kopf klar ist, so in Worte und in Sätze zu fassen, daß es von
unserem Gegenüber auch so verstanden wird, wie wir es gemeint haben. Allein vom
Ausdruck des Gesichts unseres Gegenübers entziffern wir, ob der „gesendete“
Inhalt ohne Verzerrung und Entstellung ankommt. Im Zweifel wählen wir andere
Worte, andere Sätze und wiederholen wir die Sendung. Bei Unverständnis oder
Widerspruch geben wir zusätzliche Erläuterungen. Den Austauschvorgang beenden
wir im gegenseitigen Einvernehmen. Tendenziell findet also der Austausch von
Angesicht zu Angesicht ohne Mißverständnis statt.
Beim Austausch von
Angesicht zu Angesicht ist die Wahrscheinlichkeit, eine Lügengeschichte
glaubhaft abzusetzen, äußerst eingeschränkt. Wie heißt es so schön etwas übertreibend?
Beim Lügen wackelt unsere Nase. Beim Lesen sind wir auf unser
Entzifferungsvermögen und unsere Auffassungsfähigkeit angewiesen, selbst wenn
die schriftliche Übermittlung einfach und allseitig verständlich abgefaßt ist.
Und was ist, wenn
bewußt etwas Falsches übermittelt wird? Beim Lesen sehen wir keine „Nase“! Ist
es nicht so, daß wir immer weniger „die Nase“ vermissen, immer bequemer werden
und uns mit mittelbarer Unterhaltung
begnügen, uns immer williger mittelbar unterhalten lassen, geneigter sind alles
zu glauben, was an uns mittelbar herangetragen wird? Wird uns nicht die
Scheinwelt, die virtuelle Welt heimischer und die wirkliche Welt fremd?
Es ist nicht meine
Absicht, hier nachzeichnen zu wollen, wie die Dominanz des Außenspeichers und
die Verkümmerung des Kopfspeichers im Einzelnen verlaufen ist und immer noch
verläuft. Die Quantensprünge des Austausches sind bereits erwähnt: die
Erfindung von Schrift, Druck, Film, Telegraphie, Funk, Telefon, Fernsehen,
Internet, Digitalisierung. Auch die Kehrseite dieser Quantensprünge. Sie macht
uns darauf aufmerksam, daß der Außenspeicher nie eine Kopie, sondern eine Übersetzung
des Originals ist. Und die Konturen von Übersetzungen stets unschärfer als
Kopien und die Konturen von Kopien unschärfer als das Original sind (digitale
Kopien ausgenommen). Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, daß die
Übersetzungen von Kopien und die Übersetzungen von Übersetzungen eben falscher sind, auch ohne bewußte Fälschung. Aus der Natur der Sache
heraus.
Den Ausdruck
„Quantensprung“ habe ich in meinen Ausführungen wiederholt verwendet. Ich nehme
diesen Ausdruck, der aus der Atomphysik stammt, mit einer dicken Entschuldigung
zurück. Gemeint ist ein unerwartet großer Sprung auf der Entwicklungsschiene,
und nicht das Verhalten von Quanten bei der Atomspaltung, das ich aus eigener
Anschauung nicht kenne, vom dem ich auch keine Ahnung habe. Aber ist der Gebrauch
von solchen Begriffen nicht hübsch, beeindruckend, Eindruck schindend, bluffend
und fälschend?
Aber richten wir
unsere Aufmerksamkeit auf die unerwartet großen Sprünge und lassen uns nicht
durch „Guinness–Fragen“ ablenken, wie groß eigentlich groß ist. Diese erwähnten
Sprünge beziehen sich nur auf die
Eigenschaften von Speichern und Trägern
des Wissens und nicht auf die Sprünge
des Wissens, bzw. der Erkenntnis. Und was wissen wir über die Sprünge des
Wissens? Wenig. Wieso? Für die „moderne Wissenschaft“ ist dies eine Nichtfrage.
An dieser Stelle
muß ich mich auch entschuldigen dafür, daß zu Beginn meiner Ausführungen ich eine
Nachrichtenagentur namens „Terra“ genannt habe, die es gar nicht gibt. Dies
sollte nur ein Beispiel dafür sein, wie leicht etwas nicht Existierendes in
Umlauf gebracht werden kann. Haben wir noch Zeit, Lügen und Fälschungen
aufzudecken?
#Ich nehme an
dieser Stelle auch einen unbeabsichtigten Bluff zurück, nämlich: Es ist nicht meine Absicht, hier
nachzeichnen zu wollen, wie die Dominanz des Außenspeichers und die
Verkümmerung des Kopfspeichers im Einzelnen verlaufen ist und immer noch
verläuft. Auch darüber weiß ich nichts. Es gibt keine Forschung über die Verkümmerung des Kopfspeichers.
Aber es hat
Forschungen über die Entlastung des Kopfes durch technische Hilfsmittel gegeben.
Nicht zu knapp. Diese Entlastung ist uns als die Humanisierung der Arbeitswelt schmackhaft gemacht worden, und
nicht als netto „Jobkiller“, nicht als systematischer Beginn der
Arbeitslosigkeit. Die Hilfsmittel lassen sich ja auch leichter vermarkten als
etwaige Übungsprogramme für die Steigerung der Effizienz des Kopfspeichers. Was
wissen wir über die Beschaffenheit des Kopfspeichers? Wie weit ist die Entdeckung in diesem Bereich
fortgeschritten? Was wissen die
Gehirnforscher über die Gehirnmasse? Gehirnmasse? Kann die Zusammensetzung der
Gehirnmasse beschrieben werden? Ihre Funktionsweise? Ihre Kapazität?
Unbestritten ist,
daß das Wissen unmittelbar mit der Wahrnehmung, mit der Entdeckung zunächst im Umfeld, und deren
Verarbeitung zu tun hat. Erst das Wissen
macht den Speicher erforderlich. Der Kopf als Speicher war schon immer da, auch
ohne die Entdeckung seiner
Beschaffenheit. Das Arbeiten mit dem Kopfspeicher setzt keine Entdeckungen voraus, sondern die Erfindung von Techniken. Die Sprache ist
keine Entdeckung, sondern eine Technik. Die Schrift ist ebenfalls eine Technik.
Der Außenspeicher ist keine Entdeckung. Er ist ein technologisches Hilfsmittel,
ein Werkzeug. Ausgetüftelte Technologien könnten bequemer zu Entdeckungen, zu
Wissen, zur Wissenschaft führen, aber die Erfindung von Technologien ist keine
wissenschaftliche Tätigkeit, vielmehr setzt diese Tätigkeit Wissenschaft
voraus.
Für die Beurteilung
und Bewertung der emsigen Tätigkeiten unserer Tage ist ein Auseinanderhalten
von Wissenschaft und Technologie unerläßlich. Dieses Auseinanderhalten
ermöglicht uns Einblicke in das Verhältnis von Wissenschaft und Technologie.
Wichtig scheint mir die Erkenntnis, daß Sprache, Schrift, Buchdruck, bis hin
zum Internet, Erfindungen sind, die das angesammelte Wissen, die Wissenschaft
tragen, bzw. transportieren können. Sie werden bedeutungslos, wenn die
Wissenschaft verkümmert. Wem dient nur Bedeutungsloses hin und her zu
transportieren? Auf „Moorhühner“ schießen wäre dann unterhaltsamer.
Wichtig ist auch
die Erkenntnis, daß der mittelbare Austausch von Wissen den unmittelbaren Austausch von Wissen nicht ersetzen kann. Aber der steigende schnelle Transport –
die ich bereits als unkontrollierbare Flut charakterisiert habe –, macht es
uns schwer, den transportierten Inhalt zu fassen, zu bewerten, zu überprüfen.
Uns fehlen nicht nur die Zeit und Gelegenheit dafür. Uns fehlen auch die Menschen
für einen unmittelbaren Austausch über die mittelbaren Anlieferungen. Ist mein Eindruck
falsch, daß uns fortwährend eingehämmert wird, daß die Träger (Medien) die
eigentliche Botschaft sind? Der Buchdruck, das Transistorradio, das Fernsehen,
das Internet und nicht die
Menschlichkeit, nicht die Herstellung „demokratischer“ Verhältnisse. Wir alle
wissen, daß diese Entwicklung nicht vom Himmel gefallen ist. Wir wissen auch,
daß an dieser Entwicklung viele viel Geld und Macht ansammeln. Unter Ausschluß
der Öffentlichkeit. Die Besitzverhältnisse werden verdeckt. Die Gewinne werden
verschleiert.
Dies soll seine
Richtigkeit haben. Warum soll in einer Demokratie (Herrschaft des Volkes) das
Volk genau wissen wollen, wie ein Reicher zu seinem Reichtum gekommen ist? Ist
nicht das Bank– und Steuergeheimnis eines der höchsten Güter, das geschützt
bleiben muß? Wird nicht dadurch verhindert, daß wir zu einem Volk von häßlichen
„Sozialneidern“ verkommen und den Wirtschaftsbossen das Land vermiesen und sie
zur Flucht in die Steuerparadiese zwingen? Wem soll das dienen? Sagen die
vielen bestallten und gelehrten Wissenschaftler nicht, daß die Verhältnisse in
einer Demokratie, nein, in einer „repräsentativen“ Demokratie, in einer
durchindustrialisierten, „modernen“ Gesellschaft, ungemein kompliziert sind? So
kompliziert, daß wir als Volk die Zusammenhänge nicht mehr durchschauen, nicht
begreifen können? Welchen Sinn hätte es, wenn wir unsere eh knappen Möglichkeiten
einsetzten würden, um zu erkennen, was um uns und mit uns geschieht? Warum
sollte das gemeine Volk nicht jenen Supergehirnen vertrauen lernen, die mit
großer Anstrengung, mit unserem, dem Volksvermögen finanziert, ausgebildet
werden? Jenen Eliten, die sich ja dank ihrer herausragender Intelligenz und
ausgezeichneter Ausbildung den totalen Überblick und Durchblick verschafft
haben? Ist nicht Vertrauen besser als Kontrolle? Macht nicht das Vertrauen
lernen sorgenfreier?
Und: Wie werden
Eliten zur Elite? Sind sie so geboren, oder werden sie Elite durch Ausbildung?
Wenn sie durch Ausbildung zur Elite aufsteigen, was verschafft den künftigen
Eliten den Zugang zu den Ausbildungsstätten? Soziales Erbe oder erworbene
Intelligenz? Wie kommen sie zu den Themen ihrer Diplom– und Doktorarbeiten? Wie
und wer kommt zur Doktorarbeit? Was kostet eine Doktorarbeit? Wer bezahlt sie?
Wer hält die gewordene Elite aus? Was verdient sie? Wer stellt sie ein? Worin
besteht die hauptsächliche Tätigkeit der Elite? Als die Stimme ihrer Arbeitgeber
oder im Dienste der Öffentlichkeit? Reden die im Sold stehende Eliten ohne
Genehmigung überhaupt? Welche besonderen Interessen haben die Soldgeber, die
Einkäufer der Elite? Und, wer soll sie bezahlen, die Aufklärung der
Öffentlichkeit? Wie? Über Medien? Wem gehören die Medien? Haben die Besitzer
der Medien auch besondere Interessen? Transportieren die Medien alles? Können
sie das? Wählen sie aus? Nach welchen Merkmalen? Usw., usw.
Mich haben diese
„Wissenschaftler“ nicht überzeugt. Die anfängliche Begeisterung über die
Beschreibung von Mißständen hat nicht lange angehalten. Viele der Mißstände
kannte ich aus eigener Anschauung und Erfahrung genauer als sie. Und warum
reden und schreiben sie nicht Klartext? Warum so umständlich, so verschlüsselt,
so alltagsfern, so fremdländisch. Und die Kurzatmigkeit und die kurze
Reichweite der Themen. Die Botschaft hat mich erreicht, aber doch das Ziel
verfehlt. Sie hat mich nicht überzeugen können, daß ich die Verhältnisse einer
„modernen freiheitlichen demokratischen“ Gesellschaft, daß ich die
Zusammenhänge der Verhältnisse von Eliten erklären lassen soll. Denn sie haben
keine Antworten auf meine Fragen. Nein. Sie erklären nicht, warum Reiche noch
reicher werden und die Armen immer ärmer. Auch nicht, wie Reiche reich geworden
sind. Oder warum es so viel Geheimnistuerei gibt, warum alles Schriftliche unter
Verschluß gehalten wird, was dokumentieren könnte, was die mächtigen alles so
treiben. Andererseits die Schaffung von Informationsflut!
Ich habe den
Verdacht, daß viele Gelehrte Probleme, Verhältnisse, Zusammenhänge beschreiben,
die sie aus ihrer eigenen Anschauung und Erfahrung gar nicht kennen.
Schreibende Gelehrte zehren eher und mehr aus Büchern früherer schreibender
Gelehrten. Auffällig ist ihre Fähigkeit, dem gedruckten Wort uneingeschränkten
zu glauben. Nach dem Motto, wenn das gedruckte Wort nicht wahr wäre, würde es
nicht gedruckt worden sein. Sie haben nicht gefragt, wie und woher ihre
Vorgänger etwas gewußt haben, als sie „glauben machen“ wollten, daß sie es
wirklich wußten.
Das „geisteswissenschaftliche“
Arbeiten beruht nicht auf genaue Beobachtungen und deren Beschreibung, sondern
auf dem Heranziehen der Bücher zum Thema. Nicht sämtlicher, sondern vieler. Und
wieviel ist viel? Über das kritische
Hinterfragen wird nichts überliefert. Überliefert werden nur Stellen ausgedruckten Texten, welche die Aussagen der schreibenden „Gelehrten“
stützen. Eine Kritik der zitierten Quellen? Wozu? Wenn ein Leser den Quellen mißtraut,
kann er ja die zitierten Quellen selbst überprüfen. Schließlich sind die
„bibliographischen“ Angaben ja gemacht.
Ob die bibliographischen
Angaben auch ordentlich sind? Sie geben nur an, welche Bücher herangezogen
wurden. Sie verraten beispielsweise nicht, welche Bücher zum Thema, aus welchen
Gründen auch immer, nicht herangezogen
wurden? Wäre es zu viel des Guten zu verlangen, daß diese Gelehrten genau dies
offenlegten? Warum setzen sie sich nicht mit dem zitierten Text auseinander?
Und was ist, wenn die Textstellen aus dem Zusammenhang gerissen, oder beim
Abschreiben Fehler unterlaufen sind?
Wer den
ausgewiesenen Gelehrten mißtraut, der wird noch glauben lernen müssen. Die
Alternative zum Glauben ist mühsam. In die Bibliothek gehen, das Buch suchen,
die Stelle finden, sorgfältig gegenlesen. Häufig ist das Buch auch ausgeliehen.
Oder es muß erst über die Fernleihe bestellt werden.
Wie systematisch
ist die Auswahl der zitierten Bücher? Wen interessiert es? Das einzig
Systematische der Auswahl ist, daß nur Veröffentlichungen neueren Datums herangezogen
werden. Es herrscht die Überzeugung, nein, der Glaube vor, daß das neueste Werk
alles Alte aufgearbeitet haben muß. Nach diesem Ausflug in die Arbeitsweise der
Geisteswissenschaftler wird es Zeit, daß wir gemeinsam nun die Bücher selbst
betrachten.
Die Bücher sollen
für uns Leser geschrieben worden sein. Uns
soll die Botschaft erreichen, daß wir das Denken und das Machen jenen
überlassen sollen, die auch gelernt haben, „professionell“ zu denken und zu
machen. Wenn aber die Bücher tatsächlich für uns geschrieben sind, wir die
klugen Bücher auch tatsächlich verstehen können sollen und sie auch verstehen,
wieso sind wir dann immer noch weniger klug als diese Eliten? Warum sollen wir
das Denken doch ihnen überlassen, wenn wir verstehen können, was sie schreiben?
Sagen sie uns etwa nicht alles, was sie wissen? Mache ich einen Denkfehler?
V.
Sollten wir nicht unsere Herrschaft (Demokratie) ernstnehmen und von den reich Gewordenen
genaue Rechenschaft darüber verlangen, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind,
was der „Preis“ dafür gewesen ist und wer den Preis hat bezahlen müssen? Und
sollten wir damit abfinden, daß wir Tag ein Tag aus mit jener Flut unüberprüfbaren
sogenannten Informationen unser Gehirn gespült und gewaschen bekommen? Was
tun?
Wie schon gesagt,
wir sollten nicht nach Rezepten schielen, was alles dagegen zu tun wäre, um der
Gefahr einer Gehirnwäsche zu entrinnen. Aber wir sollten viele Wege gehen und
darüber berichten, was wir bislang alles unternommen und was wir dabei an
Einsichten gewonnen haben. Und wir müssen lernen zu fragen.
Ist es ein fragen ohne Ende? So scheint es auf
dem ersten Blick. Dem ist nicht so. Bei der Übung, Fragen zu stellen, habe ich
gelernt, daß es Fragen gibt, die zur Erkenntnis führen und solche, die vom
Erkenntnisgewinn ablenken. Die praktische Übung sieht etwa aus: Man greift zu
Nachschlagewerken, wenn keine Antworten auf Fragen aus dem eigenen Fundus
kommen. Irgendwann ist die Frage fällig, warum es so viele Nachschlagewerke
gibt. Wie kommen sie zustande? Wer legt die Schlagwörter fest? Fallen welche
heraus? Warum? Nach welchen Gesichtspunkten? Will der Verlag nur Geld damit verdienen?
Hat der Verleger auch eigene Vorstellungen über Moral und Werte? Verbindet er
diese mit dem Geld verdienen? Wie weiß der Verleger, daß er in seinem
Nachschlagewerk alles wichtige erfaßt hat? Wie vergewissert er sich? Wen zieht
er zur Beratung hinzu? Forscher? Wissenschaftler? Haben die auch Moralvorstellungen?
Gäbe es Nachschlagewerke ohne Wissenschaftler,
ohne Gelehrte? Sind wir nicht wieder
bei den Eliten? Bei den Machern? Die alles für den Augtraggeber machen?
Ein zweiter Aspekt hierzu
ist noch folgenträchtiger. Wann und wie entstand die Nachfrage nach einem
Nachschlagewerk? Nachschlagewerke grenzen auch Stichworte aus. Sie müssen es.
Jeder weiß, daß alle Medien unter chronischen Platzmangel leiden. Alle Medien
müssen eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen. Aber nach welchen Gesichtspunkten
grenzen sie Stichworte, Themenbereiche aus? War dem ersten Verleger bewußt, daß
er mit dem Verlegen eine Standardisierung
der Antworten auf Erkenntnisfragen verursachte? Mittelbar auch der
Erkenntnisfragen? Werfen die Verleger gedruckter Nachschlagewerke nicht den
Verlegern im Internet vor, ob des Wettbewerbs alles zu verkürzen? Wird nicht
gekämpft mit harten Bandagen um den Marktanteil? Die Kriegsberichterstattung
soll uns nicht davon abhalten darüber nachzudenken, was es wirklich bedeutet,
über Nachschlagewerke alles Mögliche zu „standardisieren“? Standardisieren?
Standardisieren oder begrenzen?
Wer liefert den
Verlegern den verkäuflichen Text, und woher haben sie das Wissen? Wissen? Sind
wir nicht wieder bei den Eliten? Was ist, wenn sie sich irren? Was ist, wenn
ihre Quellen unzureichend gewesen sind? Was ist, wenn sie uns wider besseres
Wissen etwas vortäuschen wollen? Und was ist mit jenem Teil, der bei der
Begrenzung (Standardisierung) ausgegrenzt wird? Ist unser Alltag nicht angefüllt
von der Erfahrung, daß uns viele Geschichten aufgetischt werden, die nur kurzen
Bestand haben? Von Kanther, Koch und Kohl oder Vietnam, Irak, Somalia, und
Kosovo ganz zu schweigen. Redet die politische Elite nicht andauernd von Themen
„besetzen“ und Ideen „verkaufen“? Schämt sich die politische Elite dabei? Haben
wir auch nur leichte Hinweise – den vielen „Talkshows“ zum Trotz –, daß Eliten
anderer gesellschaftlichen Bereiche beim „Verkauf“ihrer verkäuflichen Werte verschämter sind? Gibt es heute etwas,
was nicht käuflich ist? Was? Ist nicht „Privatisierung“ Trumpf? Wie haben die
Käufer öffentlicher Vermögen das Geld verdient? Was kostet eine Autobahn, eine
Universität, ein Ministerium, eine ganze Regierung?
VI.
Es ist allseitig
unbestritten, daß nach der Erfindung der Schrift im Bereich des geistigen
Austausches eine ganze Menge geschehen ist. Vielfalt und Vervielfältigung der
Medien auf hohes technologisches Niveau. Aber haben wir auch Meßlatten und
Prüfgeräte um zu beurteilen, ob die angebliche Vielfalt von Medien und
Information doch nur eine vielfältige Wiederholung der gleichen Desinformation
(Lüge und Irreführung) ist? Uns allen würden viele Beispiele der massiven
Desinformation durch alle Medien einfallen, wenn unser Erinnerungsvermögen in
der „Informations– und Mediengesellschaft“ nicht schon fast verloren gegangen
wäre. Wir wollen nicht unbedingt fragen, wie oft das Bundesverfassungsgericht
in Deutschland das Finanzgebaren der politischen Parteien als verfassungswidrig
abgeurteilt hat. Auch nicht wer und wie von den oberen Hundert schon Erinnerungslücken
(black-outs) für sich in Anspruch genommen hat, wenn sie glaubten, bei ihren
Untaten erwischt worden zu sein.
Wir wollen
beispielsweise auch nicht nach der im Fernsehen übertragener Reaktion von Roman
Herzog als Präsident des Bundesverfassungsgerichts fragen, als bekannt wurde,
daß der vor kurzen verstorbene herausragende Verfassungsrechtler dieser
deutschen Republik, der SäulenheiligeTheodor Maunz, jahrelang wöchentlich den
Vorsitzenden der rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) und Verleger Dr.
Gerhard Frey traf und ihn in seinen diversen Verwaltungsgerichtsverfahren
außerordentlich effizient beriet. Roman Herzog reagierte, äußerte für den
Reporter anscheinend überzeugend, daß er den Bauch voll Wut hatte als er dies
erfuhr. Der Reporter fragte in dem gesendeten Fernsehbericht nichts nach. Hatte
der Reporter nicht gewußt, daß Roman Herzog als junger Rechtswissenschaftler
viele Jahre Vertrauter und enger Mitarbeiter eben jenes Theodor Maunz war? Daß
der gebräuchlichste Grundgesetzkommentar den Namen Maunz–Herzog trägt? Daß
es in dieser Republik keinen Verfassungsrechtler gibt, der nicht Theodor Maunz
immer noch hoch in Ehren hält? Wie viele Medienmacher haben uns informiert, daß
Theodor Maunz auch im Dritten Reich ein ebenso herausragender Verfassungsrechtler
gewesen ist? Wie hielt es Theodor Maunz mit dem „Führerprinzip“? Ein Bauch
voller Wut mag noch akzeptiert werden. Aber ist die Frage nicht unmittelbar
fällig, wenn er, Roman Herzog, trotz jahrelanger engster Zusammenarbeit nicht
gemerkt hatte, aus welchem Holz Theodor Maunz geschnitzt war, war er dann
selbst geeignet als oberster Verfassungshüter der neuen Deutschen Republik?
Nein, alle diese Fragen stellen wir nicht. Es ist ja alles schon so lange her. Wurde
nicht dieser Roman Herzog später der erste Repräsentant der Deutschen Republik?
Nur, wir kommen
nicht umhin, die Frage nach den Zusammenhängen in den Raum zu stellen. Gibt es
Zusammenhänge zwischen der Medienvielfalt und dem Gefühl der Ohnmacht, zwischen
Mediengewalt und dem Verlust von Gedächtnis? Können wir übersehen, daß alle
Medien dieselben Schlagzeilen unter gleichen Gewändern transportieren? Oder:
Können wir wirklich übersehen, daß die Vielzahl der Zeitungen, Magazine,
Rundfunk– und Fernsehsender nur täuschend sein kann, wenn ihre Quellen, die
Agenturen, die gleichen sind? Und konkurrieren sie nicht bedingungslos um den
Kuchen der Werbebudgets der Waren verkaufenden Unternehmen? Auch die
öffentlich–rechtlichen Rundfunk– und Fernsehanstalten? Welche von ihnen könnte
den riskanten Versuch unternehmen, mit alternativer Programmpolitik ein
größeres Stück vom Werbekuchen zu ergattern? Was ist, wenn es schief geht? Sie
konkurrieren also folgerichtig nach dem „Guinness–Prinzip“: schneller,
reißerischer, unterhaltsamer und besser nur in technischer Qualität.
Auflagenhöhen und Quoten sind Trumpf. Zusammenhänge und Hintergründe sind
kopflastig, sind weniger unterhaltsam. Unterhaltung braucht kein Gedächtnis.
Gedächtnis belastet nur!
Wir haben noch
nicht vergessen, mit welchem Geschick die eingebetteten
Journalisten die Beseitigung der irakischen Massenvernichtungswaffen zeigten,
mit welcher Gewalt die täglichen Pressekonferenzen aus dem Weißen Haus bei dem
Krieg gegen Terroristen in Afghanistan uns erreichten, welche unglaublichen
Geschichten aus dem NATO–Hauptquartier während des „unvermeidbaren“,
„gerechten“ Kosovo Krieges uns entgegen schleuderte. Warfen nicht die US–Bomber
und NATO–Bomber nur intelligente Bomben, die stets zwischen „Saddam Husseins“,
„bin Ladens“ und „Milosevics“ einerseits und irakischen, afghanischen und
jugoslawischen Kindern und Frauen anderseits unterscheiden konnten? Abgesehen
von „Kollateralschäden“! Kollateralschäden? Hatte nicht die zivilisierte
„Staatengemeinschaft“ in diesen Kriegen aus der Luft, nein, in diesen
„Luftschlägen“, die einzige Möglichkeit gesehen, in Irak die ganze Welt von
Massenvernichtungswaffen zu befreien, in
Afghanistan den Terror zu bekämpfen, in Kosovo eine „ethnische Säuberung“ zu
verhindern? Was haben die „Luftschläge“, die gewonnenen Kriege und Besetzung
außer Kriegsgewinne gebracht? Wer besitzt tatsächlich die meisten
Massenvernichtungsmittel in der Welt? Wie entsteht Terror? Was ist ethnische
Säuberung? Was war in Somalia? Und im Libanon?
Und was war im
„Golfkrieg“ los? Wann ist er zu Ende gegangen? Hat unser Kopfspeicher noch
Platz für den „Golfkrieg“? Ist der „Golfkrieg“ nicht schon gelöscht? Wissen wir
noch, daß die nach 1990 geborenen irakischen Kinder eigentlich selbst daran
schuld sein müßten, daß das Regime von Saddam Hussein noch 2003 im Irak
herrschte? Wie sonst waren die nie unterbrochenen Raketen– und Bombenangriffe
der Briten und der USA auf den Irak zu erklären? Vor den 2. Golfkrieg. Waren
die Angriffe durch Resolutionen der Vereinten Nationen gebilligt?
Können wir uns noch
über die Zusammenhänge mit Falkland erinnern? Oder beim Militärputsch in Chile?
Oder an die Entlaubung des Ho-Chi-Mihn-Pfades durch den flächendeckenden Abwurf
von Dioxin als die Demokratie und Menschlichkeit schlechthin in Asien
verteidigt wurde? Wer steckte hinter dem „Sechs-Tage-Krieg“? Was geschah im
Kongo und wie kam der einstige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag
Hammarskjöld, ums Leben? Wer brachte den demokratisch gewählten iranischen
Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh um, als er die Ölindustrie in Iran
verstaatlichte? Wer war John Foster Dulles und welche Politik betrieb er? Aus
welchem Himmel fielen die Flüchtlinge in Palästina, die heute noch in Lagern
leben? Was geschah in Hiroshima und Nagasaki? Wer führte den zweiten und den
ersten Weltkrieg? Was geschah in den sogenannten Kolonien? Wieso heißt
„Amerika“ Amerika? Wie hieß dieser Kontinent früher? Wie hießen die Bewohner
dort, bevor die christlich–europäischen Schlächter ganze Arbeit leisteten? Oder
in „Australien“, oder in „Neuseeland“? Wissen wir noch, wieviel „Flüchtlinge“
es in den letzten 500 Jahren aus Europa gegeben hat und was sie in der ganzen
Welt angerichtet haben? Waren sie Asylsuchende? Wenn wir die Antworten auf alle
diese Fragen gegenwärtig hätten, würden wir dann nicht die lautstärksten
Vorkämpfer für die Erhaltung der Menschlichkeit mit anderen Augen sehen?
Wer kennt die
Anekdote noch? Ein Journalist fragt den Außenminister der USA John Foster
Dulles, wenn er nur einen Wunsch frei hätte, welcher wäre der? „Freier Fluß der
Informationen“ war seine Antwort. Der Journalist hat nicht nachgefragt. Müssen
wir nicht darüber nachgrübeln? Was hat John Foster Dulles wirklich gemeint?
Fließt nicht jeder Fluß in nur eine Richtung? Ja, die vielen „John Foster
Dulles“! Sie haben uns jene langjährige UNESCO–Diskussion über
„Medienmonopole“ fast vergessen gemacht. Jene 1970er und 1980er Jahre.
Wie gesagt, Fragen
ohne Ende müssen wir stellen, um uns den Zusammenhang zwischen Informationsflut
und Gedächtnisverlust gegenwärtig zu machen. Zur großen Politik wie auch zu
Problemen des Alltags. Und wir alle wissen, wir sind das, was wir wissen. Wir
brauchen keine neuen Schulmeister, sondern keine.