Die „Guttenbergs“ fallen nicht vom Himmel; sie wachsen im Humus der Gesellschaft.
Ich kenne deutsche Wissenschaftler länger,
wahrscheinlich auch genauer, als die meisten deutschen Wissenschaftler sich
selbst kennen. Und auch ihre Arbeitsstätte. Es ist kein besonderer Verdienst
von mir. Es ist einfach ein Faktum. Eine Gunst des frühen Geburt. Ich lebe,
lerne und arbeite in Wissenschaftsbetrieben in Deutschland seit 1955.
Demoskopie hat es in diesem Land auch früher
gegeben. Das gesellschaftliche Ansehen der Professoren und Wissenschaftler
rangierte bis in den späten 60er Jahren an der höchsten Stelle. Und heute? Tiefst
abgestürzt! Ich kenne keine öffentliche Diskussion der Wissenschaftler darüber,
was den tiefen Absturz vom höchsten bis fast zum niedrigsten verursacht hat. Vom
wahrnehmbaren Nachdenken über Aufgabe und Verpflichtung der Wissenschaftler in der Gesellschaft
ganz zu schweigen. Auch wenig über die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft. Sie sind bemerkenswert
gleichgültig.
Warum auch nicht? Verdienen sie nicht immer
noch gutes Geld? Vernehmbares Nachdenken über all dies könnte ja auch
schlafende Hunde wecken. Außerdem sind sie voll auf beschäftigt, alles Mögliche
zu untersuchen. Keine Zeit, um die eigene Zunft oder die eigene Arbeitsstätte unter
die Lupe zu nehmen. Wofür Nestverschmutzung? Wer soll das riskieren? Also, es
läuft, wie es eben läuft. Ohne Moral. Ohne Verantwortung.
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Auch Wissenschaft fällt nicht vom Himmel. Sie
erwächst aus der gesellschaftlichen Praxis. Gesellschaftliche Praxis ist die
Auseinandersetzung der Menschen mit der Natur, um durch notwendige Anpassungen
und Aneignungen die Existenz der Gattung Mensch zu sichern. Die Beziehungen der
Menschen untereinander, das gesellschaftliche Verhältnis also, sind mithin
abhängig von der natürlichen Umwelt und von dem Grad ihrer Anpassung und
Aneignung.
Deshalb ist das Wissen über die Zusammenhänge
und die Abläufe in der Natur wie auch die Zusammenhänge und Abläufe in der
Gesellschaft für das gesellschaftliche Leben wichtig. Versuche, die wirklichen
Abläufe, und nicht die geglaubte oder von Sonderinteressen abgeleitete
Wirklichkeit, immer genauer zu beschreiben, erweitert das Wissen. Es ist eine notwendige
Arbeit innerhalb der arbeitsteiligen gesellschaftlichen Praxis. Die sinnvolle
Sammlung und das sinnvolle Ordnen der Ergebnisse dieser Arbeit ist
Wissenschaft. Sie wird seit Jahrtausenden fortwährend überliefert.
Die Wissenschaft ist also befreiend. Sie
befreit von Glauben und Aberglauben. Vor allem von jenen Glaubensätzen, die von
mächtigen Gruppen den Beherrschten eingeprägt werden. Dies lehrt uns die Überlieferung.
Die Befreiung durch Wissen, durch die Wissenschaft, bedeutet nichts anderes als
Übereinstimmung herzustellen zwischen Erkenntnis und (objektiver und nicht
virtueller) Realität.
Die Wissenschaft entwickelt sich nicht
selbst, sie wird entwickelt. Durch jene Mitglieder der Gesellschaft, die durch
die Arbeitsteilung dazu befähigt und beauftragt worden sind, die entstandene
Unstimmigkeiten, Probleme genau zu beschreiben, ihre Zusammenhänge in der
Wechselbeziehung zwischen Natur und Gesellschaft zu entdecken, herauszufinden und sich ständig bemühen auch
Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es ist nicht die Aufgabe dieser Mitglieder,
also der Wissenschaftler, vorzuentscheiden, oder zu entscheiden und/oder ihre
Entscheidung zu propagieren.
Mächtige Interessen beeinflussen vielfältig
die Betrachtungsweise der beschriebenen
Zusammenhänge der gesellschaftlichen Praxis, um Ihre Interessen verdeckt
zu schützen. Somit beeinflussen sie auch die wissenschaftliche Arbeit. Die
Beeinflussung wird durch die Arbeitsteilung innerhalb der Wissenschaft
begünstigt. Die Arbeitsteilung unterläuft eine mögliche Selbstkontrolle der
Wissenschaft als Ganzes. Je willkürlicher diese herausgebildete Arbeitsteilung
innerhalb der Wissenschaft ist, je kleinteiliger die Arbeitsteilung wird, umso leichter ist die Beeinflussung durch die
Mächtigen. Die Spezialisten sind leichter unter Ausschluß der Öffentlichkeit
einzukaufen. Fliegt der Einkauf mal auf, verwandeln sich die eingekauften zum
Zeugen. Sie leugnen. So einfach ist es. Moral? Was ist Moral?
*****
Die Gesellschaftswissenschaften und die
Naturwissenschaften sind Folgen einer
Arbeitsteilung. Der Arbeitsgegenstand der Naturwissenschaftler sind danach Phänomene
der Natur und deren Zusammenhänge. Der Arbeitsgegenstand der
Gesellschaftswissenschaftler sind die Beziehungen der Menschen untereinander.
Diese Arbeitsteilung vernachlässigt systematisch, daß Natur und Gesellschaft
sich wechselseitig beeinflussen und gestalten. Deshalb sind Probleme der
Gesellschaft nicht von der Natur trennbar. Aus der Natur der Sache heraus.
Unabhängig von unserem Wissen. Doch ist diese
Arbeitsteilung nicht auf einen Prüfstand gestellt worden. Wer hätte dies auch
tun sollen? Die Wissenschaftler?
Die Teilung des Ganzen geht weiter. Für die
Gesellschaftswissenschaften zunächst in: Philosophie, Psychologie, Ökonomie,
Geschichte, Sozialwissenschaft; für die
Naturwissenschaften zunächst in: Metaphysik, Physik, Chemie, Biologie, Medizin
und Mathematik. Dann in fachliche Schwerpunkte. Die fachlichen Schwerpunkte
teilen sich wiederum in spezielle Vertiefungsaspekte auf. Der Zusammenhang zum
Ganzen geht folgerichtig unterwegs total verloren. Für die „Wissenschaftler“
ebenso wie für die nicht wissenschaftlichen Mitglieder der Gesellschaft.
Nicht die Arbeitsteilung schlechthin ist also
problematisch, sondern der Verlust des Ganzen im Bewußtsein der Wissenschaftler
durch die herrschende Arbeitsteilung. Die Wissenschaftler mutieren zu
Spezialisten. Der Vertiefung wegen. So wird erklärt. Die Vertiefung ist
begleitet von einer speziellen Begrifflichkeit. Diese erfundene Begrifflichkeit
und die scheinbare Vertiefung graben die Wissenschaftler selbst in tiefe Gräber
ein. Nur die KollegInnen aus den gleichen Gräbern können sie noch verstehen,
wenn überhaupt. Das, was sie betreiben, ist beinahe nur noch zur eigenen
Befriedigung. Auf Kosten der Allgemeinheit, versteht sich.
Den Naturwissenschaftlern hat es nicht
gereicht, die Zusammenhänge der kleinen und großen Welt der Natur zu
beschreiben; zu wissen, wie sich der Mensch immer besser in die Natur
einbringen kann. Ihre Arbeitsteilung hat sie immer mehr zu immer kleineren
Abschnitten der Natur für ihre Erforschung geführt. Bis die Abschnitte klein
genug geschnitten war, daß die Naturvorgänge und deren Zusammenhänge in diesen Kleinstabschnitten
künstlich nachgestellt werden konnten. In von Menschen zusammengebastelten
Gebilden. In Modellen. Zum besseren Verständnis. Eigentlich zum idiotensicheren
Beweis für etwas, das als erarbeitetes wissenschaftliches Wissen schon fest
steht. Dank der Logik und mathematischer Berechnung.
Labore und „Experimente“ sind die Folge
dieses Unsinns mit weitreichenden Folgen. Labore und „Experimente“ kosten Geld.
Wo soll das Geld herkommen, wenn keine lukrative Renditen Erwartungen winken? Experiment
im Labor ist keine Beschreibung der Vorgänge dessen was in der Natur ist, sondern eine konstruierte eher
statische Nachbildung eines fließenden Vorgangs entlang des gesammelten Wissens
über die Natur. Ziel ist nicht, das Wissen zu erweitern. Das Ziel ist, das
Wissen zu verwerten. Die Erfindung dieser Idee ist die Geburtsstunde der
Technologie und technologischer Entwicklungen.
Das unzweideutige Ziel sich mit der
Technologie zu beschäftigen ist, durch die Anwendung von Wissen Nutzen daraus zu ziehen. Für wen auch
immer. Produkte erfinden. Sie
vermarkten. Folge davon ist der Versuch, sich die Natur nach und nach für
diesen unnatürlichen Zweck anzueignen, sie zu verändern, sie zu beherrschen. Im
Rausch der Experimente im Labor haben die Naturwissenschaftler nicht nur das
Bewußtsein über das Ganze verloren. Sie haben auch den Unterschied zwischen
Wissenschaft und Technologie verwischt. Nicht Entdeckungen stehen im Mittelpunkt des „wissenschaftlichen“
Arbeitens, sondern Erfindungen. Die
Suche nach Erfindungen wird als wissenschaftliche Tätigkeit propagiert. Entdeckungen
lassen sich nicht vermarkten. Sondern technologische Produkte, die der Natur
fremd sind. DDT, Atomspaltung, Genmanipulation, apparategestützte
Lebensverlängerung sind Spitzenbeispiele
für diese Entwicklung.
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Gesellschaftswissenschaftler haben Naturwissenschaftler
immer beneidet, ihrer Arbeitsbedingungen wegen. Es ist ihnen nicht in den Sinn
gekommen, die naturwissenschaftliche Praxis kritisch zu erforschen. Was gewiß
nicht für die intellektuelle Qualität der Gesellschaftswissenschaftler spricht.
Die ablaufenden gesellschaftlichen Ereignisse
sind nicht wiederholbar. Die Gesellschaft ist noch weniger ein Labor als die
Vorgänge der Natur. Dennoch bemühen sich die meisten Gesellschaftswissenschaftler die Arbeitsweise
der Naturwissenschaftler sich zu Eigen zu machen. Sie üben ein, die
gesellschaftlichen Abläufe in gedankliche
Modelle zu pressen. So wird die Einbildung möglich, es den
Naturwissenschaftlern beinahe gleichgetan zu haben. Mathematische Formeln und
Rechenzentren sind Trumpf.
Je komplizierter, umso besser. Ergebnisse wissenschaftlicher
Arbeit werden auf diese Weise kritikfest gemacht. Wer will riskieren, als Unwissender
da zu stehen? Interdisziplinarität ist „in“. Ob die Ergebnisse auch entdeckte
Erkenntnisse sind, ist zweitrangig. Ob die Erkenntnisse auch für die Mehrheit
der Bevölkerung nützlich sind, darf gar nicht gefragt werden. Denn: die Wissenschaft
sei neutral.
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Wie aber wissen die Wissenschaftler, ob ihr
Arbeitsgegenstand sinnvoll ist? Keine Sackgasse ist? Die Arbeitsweise der
Gesellschaftswissenschaftler gibt einen beispielhaften Hinweis. Wie wissen sie,
wenn sie vorgeben oder gar selbst glauben, etwas zu wissen, ob das auch richtig
ist? Ihr wissen ist deshalb richtig, so glauben sie, weil vor der eigenen
Aussage andere ähnliche Aussagen gemacht haben. Die Qualität der
wissenschaftlichen Arbeit besteht in dem Fleiß, zur Stützung eigener Arbeit so viel wie möglich infrage kommende
gedruckte Erzeugnisse heranzuziehen und so den Nachweis zu erbringen, daß die
eigene Arbeit ohne Fehl und Tadel ist. Und sie geben ihre Auswahl als „sämtliche“
infrage kommende gedruckte Erzeugnisse aus. Logisch. Nachweis über den Stand
ihrer Wissenschaft.
Wie und wer soll verlässlich prüfen können,
ob „sämtliche“ auch sämtliche sind. Wer und wie soll die Bonität der
herangezogenen Druckerzeugnisse geprüft werden? Weil all dies nicht geht, wird
stillschweigend vorausgesetzt, daß die gedruckten Erzeugnisse wichtig und verlässlich
sind. Sonst wären sie ja nicht gedruckt. Also wird die eigene wissenschaftliche
Arbeit aufgebaut auf anderen gedruckten Erzeugnissen ohne eine eigene, für
andere nachvollziehbare, Prüfung der Bonität der herangezogenen gedruckten Erzeugnisse
zu machen. Diese werden formal ordentlich zitiert, oder wird der Inhalt in der
eigenen Diktion abgeschrieben. Die ordentlich zitierten Teile, um die eigene
Meinung zu stützen, sind auch ein Abschreiben. Der Weg über kritische Würdigung
der sekundären Quellen bis hin zur primären Quellen ist zu mühsam. Muß man denn
alles in Frage stellen? Wozu gibt es Zitierkartelle und kommerziell vertriebene
Index der Zitate?
Die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit
besteht nicht mehr darin, die wirklichen gesellschaftlichen--- und Naturabläufe
in ihrem Entstehungs--- und Bedingungszusammenhang immer genauer zu beschreiben
und durch diese Beschreibung frühere in Frage zu stellen. In der Regel wird aus
früher veröffentlichten gedruckten Beschreibungen schlicht „abgeschrieben“.
Quellenkritik ist nicht gefragt. Auch nicht die Unterscheidung zwischen
Primär--- und Sekundärquellen. Hauptsache gedruckte Erzeugnisse.. Auf die Menge
kommt es an. Je mehr, umso beeindruckender.
Mittlerweile sind über die meisten
gesellschaftlichen Problembereiche meterweise „wissenschaftliche“ Bücher
geschrieben worden. Nun ist kein Problem mehr, immer mehr wissenschaftlichen
Bücher zu produzieren. Diese wissenschaftlichen Bücher beschreiben selten die
Wirklichkeit, aber die Folgen der
Veröffentlichung sind wirklich, Denn, die Ergebnisse werden gebraucht, von
jenen, die ihre Produktion ermöglichen. Aber nur wenige besitzen die materiellen Voraussetzungen,
Aufträge zu erteilen.
Die neuesten Veröffentlichungen sind
wichtiger. Wen interessiert es, daß die neuen Veröffentlichungen aus den alten
interessengesteuert abgeschrieben werden. Natürlich setzt die erlaubte
Zitierkultur Grenzen. Aber nur scheinbare. Es darf nicht Seitenweise zitiert
werden. Also „zitiert“ man Seitenweise in indirekter Diktion. Oder in eigener
Diktion. In welcher Diktion auch immer, nach welchen Ritual auch immer,
abgeschrieben bleibt abgeschrieben. Die Bibliotheken sind voll solcher schlicht
abgeschrieben „wissenschaftlichen“ Bücher. Wo, wie und von wem sollen die
angehenden Wissenschaftler lernen, wissenschaftliche Erkenntnisse vom „wissenschaftlichen“
Schrott zu unterscheiden?
Forschung kostet Geld. Die Mittel sind knapp.
Die Zahl der Wissenschaftler wird immer größer. Also müssen die Wissenschaftler
Ihre „Künste“ vermarkten. Dadurch gerät die Wissenschaft selbst in die Krise. Denn in der Marktwirtschaft ist
auch den Wissenschaftlern der Rock näher als die Wissenschaft. Die Cleveren
unter den Wissenschaftlern sind zu beschäftigt. Sie denken nicht darüber nach,
ob ihre Beschäftigung noch wissenschaftliche Arbeit ist. Die weniger Cleveren
machen es den Machern nach.
Diese Beurteilung ist hart. Sie ist
berechtigt, denn die Quellen der Information für solche wissenschaftlichen
Arbeiten sind unvollständig. Es scheint diese Wissenschaftler nicht zu
beunruhigen, daß viele Informationen einfach vom Machern in allen Bereichen
unter Verschluß gehalten werden: Niederschriften aller Art, die für das Agieren
der Macher notwendig sind. Diese schriftlichen Materialien werden geheim
gehalten, in öffentlichen Ämtern genau so wie in den Verbänden und
Industrieunternehmen, auf den Gemeindeebenen genauso wie auf den Landes--- und
Bundesebenen. Diese Materialien haben mit „Staatsschutz“ nicht zu tun. Im privaten
Bereich auch. Sind die Steuererklärungen nicht das heiligste Geheimnis in
Staaten mit demokratischer Grundordnung?
Die Naturwissenschaftler halten sich mit der Anwerbung von Drittmitteln vollauf
beschäftigt. Auftragsforschung. Sie fragen nicht, wer mit den Ergebnissen was
anstellt. Sie sind schließlich Wissenschaftler, keine Macher. Sie verantworten
nicht die Ergebnisse ihrer eigenen Arbeit. Die Verantwortung sollen nur die
Macher tragen. Also keiner tragt die Verantwortung im Ernstfall. Ist die Frage
nach der Verantwortung nicht altmodisch? Ist die „Welt“ nicht schon zu komplex?
Sind es nicht nur „Fehler“, wenn was schief geht? Handwerkliche gar? Ist das Irren
nicht menschlich? Muß man sich nicht mit einer „Entschuldigung“ zufrieden
geben? Muß man wirklich auf „Kopf ab“ bestehen? Wollen wir denn alle „Mörder“
sein? Schließlich verdienen wir doch alle eine zweite Chance. Oder?
Die Gesellschaftswissenschaftler halten sich
mit dem öffentlich zugänglichen Material beschäftigt. Damit haben Sie genug zu
tun. Sagen sie. Wie aber wissen sie, ob die öffentlich zugänglich gemachten
Materialen auch wichtig sind? Setzt nicht eine Beurteilung darüber die Kenntnis
des gesamten Materials voraus? Sie fragen sich nicht einmal, ob nicht jener
öffentlich zugänglich gemachte Teil bewußt zugänglich gemacht wird, um die
Wissenschaftler für verdeckte Interessen einzuspannen. Das Bemühen einer
Bonitätsprüfung der öffentlich zugänglichen Quellen führt in die Sackgasse. Es
kann keine Meßlatte für eine Prüfung geben, wenn der Zugang zu jenen unter
Verschluß gehaltenen Quellen gesperrt ist.
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Also bleibt es bei der Veröffentlichung von
Büchern, die nicht das Papier wert sind. Die Quantität ist Trumpf. Sollte sich später
herausstellen, daß trotz der Fülle von veröffentlichten Fakten einige wesentlichen
gefälscht waren, entschuldigt man sich im besten Fall später. Ich habe keine gemeinsame
Forderung der Wissenschaftler um die Öffnung der Schranken der Geheimhaltung
für Wissenschaftler vernommen. Wie soll das Wissen in der Gesellschaft wachsen?
Reicht der beinharte Wettkampf um Mittel für technologische Erfindungen aus?
Wissenschaftler unserer Tage lernen nicht. Sie scheinen sich mit Erinnerungen
nicht zu belasten.
Wissen wir noch, wo Vietnam ist? Und was in
Vietnam vor wenigen Jahren geschehen ist? Das Beispiel Vietnam ist für das bewußte
Sein der Wissenschaftler folgenlos geblieben. Erinnern wir uns noch? Die
Provokationen Nordvietnams im Golf von Tonking zwangen die USA zu
Gegenmaßnahmen. So hieß es für die Öffentlichkeit. Der mörderische Krieg begann.
Die vielen Toten und die Verwüstung großer Landschaften mit „Agent Orange“
(Dioxin) waren also unvermeidbar. So schien es. Bis zu dem Zeitpunkt, als die geheimen
Vietnam Dokumente der USA---Regierung gesetzeswidrig veröffentlicht wurden. Daniel
Ellsberg hielt den Leidensdruck nicht mehr aus. Kein Wissenschaftler, kein
Publizist, ein „Insider“. Die „Affäre“ im Golf von Tonking war in Wirklichkeit
von den USA inszeniert worden, um Demokratie in Asien zu retten. Mit
Waffengang, versteht sich.
Alle übrigen Fakten waren bekannt. Die bis
dahin in den Veröffentlichungen gezogenen Schlussfolgerungen waren falsch, weil
in der Kette der Informationen diese eine, die wesentlichste, gefälscht war.
Keinem der Tätern der USA---Regierung für den Massenmord und für die immer noch
anhaltende Verseuchung des Bodens ist der Prozess gemacht worden. Nein. Falsch.
Einem wurde der Prozess gemacht. Dem Daniel Ellsberg. Die ehrenwerten Lyndon B.
Johnson, der US---Präsident, und/oder Robert McNammara, der US---Verteidigungsminister, entschuldigten sich nicht mal bei Vietnamesen.
Die eigenen gefallenen Soldaten wurden zu Helden erkoren. Und die
Vietnam---veteranen?
Wissen wir noch, wo Jugoslawien ist? Wie viel
Tonnen uranagereicherten Bomben und Geschosse wurden dort von der „Internationalen
Gemeinschaft“ geworfen? Jene super intelligenten Bomben und Geschosse die nur
die Milosewics und nicht die
unschuldigen serbischen Kinder, Frauen und Greisen getroffen hatten? Wie
viel Zehntausende wurden ermordet? Haben die Serben mehr ermordet oder die
„Internationale Gemeinschaft“? Alles um die angebliche „ethnische Säuberung“
durch die Serben zu verhindern? Hat nicht die „Internationale Gemeinschaft“ die
„ethnische Säuberung“ sauberer hingekriegt? Wurde allen Massenmördern der
Prozess gemacht?
Wissen wir noch, wo Irak ist? Was wissen wir
noch über die Kriege in Irak. Wissen wir noch, wie der dritte Krieg begonnen
wurde durch die „Internationale Koalition der Willigen“? Weil ja die ganze Welt
von Saddam Hussain mit den vielen gefährlichen biologischen und atomaren
Massenvernichtungsmitteln bedroht wurde?
Trotz der „intelligenten“ Geschosse und
Bomben, die unterschieden haben zwischen Saddamisten und den anderen Irakern,
wurden hunderttausende unschuldige irakische Kinder, Frauen und Greisen
ermordet. Wie heißt noch die Erklärung für diesen Massenmord? Kollateralschäden?
Nun weiß die ganze Welt, daß „Massenvernichtungsmittel“ nur ein gefälschter
Vorwand war. Wurde diesen Massenmördern der Prozess gemacht? Ist uns auch
bewußt, wie angeblich die Sicherheit der „Internationalen Gemeinschaft“ am
Hindukusch verteidigt wird? Und was wissen wir von WikiLeaks?
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Wissenschaftler sind Betriebsblind. Nein.
Falsch. Diese Betriebsblindheit der Wissenschaftler ist nicht durchgängig.
Nicht, wenn es um die Absicherung ihrer eigenen vorteilhaften Position in der
Gesellschaft geht. Sie kämpfen nicht an der Aufklärungsfront. Adressaten Ihrer
Arbeit sind in der Regel zunächst die KollegInnen oder die Auftraggeber. Die
Anerkennung durch die KollegInnen ist für die Karriere wichtig. Und ohne
Auftraggeber --- keine Existenz. Die Marktwirtschaft verschont die Wissenschaft
nicht. Marktwissenschaft ist die Folge.
Die Ergebnisse marktwissenschaftlicher Arbeit
werden jenen zugänglich gemacht, die den Markt beherrschen. Dieses besondere
Verhältnis ermöglicht beiden Seiten die sehr bevorzugte gesellschaftliche
Stellung im Vergleich zu arbeitenden Bevölkerung. Denn, Wissenschaftler sind
klug. Sie haben begriffen, daß die Existenz ihrer Wissenschaft nicht mehr
abhängig ist von der arbeitenden Bevölkerung, die für sie die Lebensmittel ---
im weitesten Sinne des Wortes --- mit produziert. Wissenschaftler haben
begriffen, daß sie abhängig sind von jenen Kräften, die den
Verteilungsschlüssel schon im Besitz haben und für sich weiter ausbauen wollen.
So haben Wissenschaftler jene Kräfte stark gemacht, die nun mehr über die
Existenz und über die Fortentwicklung ihrer Wissenschaft entscheiden können ---
durch die Anwendung ihrer „wissenschaftlichen“ Ergebnisse, versteht sich.
Wissenschaftler sind weitsichtig. Sie sichern
den Rest ihrer bevorzugten Position gegen Krisen durch die Erfindung und
Entwicklung ihrer Geheimsprache ab. Sie nehmen Abschied von der Alltagssprache,
weil sie angeblich nicht genau sei. Sie entwickeln eine jeweilige eigene
Sprache, die zum Teil der Alltagssprache entnommen ist, vorzugsweise einer
fremden Alltagssprache. Sie gestalten den Sinn neu und prägen neue Begriffe,
also Kürzel, welche die Verständigung der Wissenschaftler untereinander in den
gleichen Gräbern erleichtern sollen. Diese Vorgehensweise könnte einleuchtend
sein, wenn dadurch Gespräche über die Vorgehensweisee und über die zu entwickelnden
Werkzeuge für die wissenschaftliche Arbeit erleichtert würden.
Aber gibt es bei der Darstellung ihrer
Arbeitsergebnisse eine sachliche, politische, moralische oder sonstige
Rechtfertigung für die Verwendung der unverständlichen Fachsprache? Von den
Ergebnissen sind nicht nur die wissenschaftliche KollegInnen in den gleichen
Gräbern, Wissenschaftler in den benachbarten Gräbern oder die angestellten
Spezialisten ihrer Auftraggeber betroffen. Die Ergebnisse haben Folgen für
alle. Vorteilhafte folgen für jene, die dieser „geheimen“ Sprache mächtig sind
oder die Mittel besitzen, sich eine private Übersetzung liefern zu lassen. Das
sind wenige. Nachteilige Folgen für alle jene, die in ihren Bedürfnissen und
Interessen ständig zurückstechen müssen, aber doch die Hauptlast in der
Gesellschaft tragen. Sie sehen nur fassungslos zu, wie ihre gewählten Vertreter
für die Abzocker der Finanzwirtschaft „Rettungsschirme“
aufspannen.
Zur Rechtfertigung ihrer kalkulierten Dreistigkeit
und Rücksichtlosigkeit sagen die Wissenschaftler, wenn sie überhaupt
angesprochen werden: die „Sachen“ seien in sich so schwierig, daß sie nur in
der genauen Sprache der Wissenschaft dargestellt werden könnten. Der Beweis für
diese Begründung ist nie angetreten worden, er ist ihnen auch nicht abverlangt
worden.
Jener Mehrheit, die diesen Beweis verlangen
müßte, wird die Fähigkeit systematisch verweigert. Durch die gesellschaftliche
Benachteiligung. Sie können nicht durchschauen, was im Namen der Wissenschaft hinter
ihrem Rücken alles betrieben wird. Wie heißt dieser Tatbestand für uns heute?
Die Mehrheit ist leider „bildungsfern“. Und jene, die Begriffe wie
„bildungsfern“ kreieren, durchschauen, verstehen die Ergebnisse und leben damit
gut. Wissenschaftler, Didaktiker, Publizisten, Journalisten, Politiker.
Es gibt ausreichende Gegenbeweise, daß die
Wissenschaftler ihre Arbeitsergebnisse in vielen Sprachen und Subsprachen sehr verständlich
übersetzen können. Beispielsweise, wenn sie Mittel für ihr wissenschaftliches
Steckenpferd locker machen wollen oder wenn sie sich bei Konzernen, Verbänden,
Parteien angedient haben.
Schließlich gibt es ja auch eine
„Wissenschaft“ der Wissenschaftsvermittlung, die Wissenschaftsdidaktik. Am Rande
sei vermerkt, daß auch diese Wissenschaft eine eigene Geheimsprache entwickelt
hat. Vielleicht, um die Anerkennung als Wissenschaftler zu erlangen. Das ist
ihr so gründlich gelungen, daß die produzierenden Wissenschaftler die
vermittelnden Wissenschaftler nicht mehr verstehen.
Es spricht vieles dafür, daß alle wissenschaftlichen
Ergebnisse in der Alltagssprache genauestens dargestellt werden können. Wäre
dies nicht so, wären keine poltische Entscheidungen möglich. Bemerkenswert ist,
daß Protokolle der Beratungen über politische Entscheidung für die
Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Warum werden die wichtigen Quellen für
alle wichtigen Entscheidungen unter Verschluß gehalten? Sind etwa die
wirklichen Abläufe in der Gesellschaft darin in einer Sprache beschrieben, die
die Alltagssprache ist? Und die Abläufe und deren Entscheidungsfindung sind doch
nicht so kompliziert und so schwierig, wie es uns die Wissenschaftler glauben
machen wollen? Sonst gäbe es ja keinen Grund, keine Rechtfertigung, diese
Quellen des Wissens unter Verschluß halten zu müssen. Die Fachleute sind ja
ohnehin eingebunden.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es
durchaus verständlich, warum vor allem Gesellschaftswissenschaftler für ihre
Forschung wichtiges Quellenmaterial nicht vermissen und warum sie sich beinahe
eine Geheimsprache eingeübt haben. Nur, dieses Verhalten steht zur
ursprünglichen Geschichte der Wissenschaft in Widerspruch. Diese Geschichte der
Wissenschaft ist die Geschichte der Aufklärung. Dieser Bestandteil ist von
Wissenschaftlern selbst veräußert worden des eigenen Vorteils wegen.